WILHELM
VON SAINT-THIERRY
BRIEF
AN DIE BRÜDER
VOM BERGE GOTTES
(Nach der Übersetzung von Abt Bernhard Kohout-Berghammer O.Cist. – in
der Herausgeberschaft der Zisterzienserinnenabtei Eschenbach, die auch die
Erlaubnis zur Veröffentlichung auf diesem Blog erteilt hat.
Hier: ohne Vorwort, Einleitung und
Anmerkungen)
Brief des
Herrn Wilhelm
An die
Brüder vom Berge Gottes
Einleitung
I. Glückwünsche und Ermutigung
Es gibt wieder Einsiedler
1. Den Brüdern vom Berge Gottes,
die das Licht des Ostens und jenen alten religiösen Eifer aus Ägypten in die
Dunkelheit des Westens und in die Kälte Galliens brachten, nämlich das Beispiel
eines Lebens in der Einsamkeit und die Form eines himmlischen Lebens, ihnen
eile entgegen und eile mit ihnen, meine Seele, in der Freude des Heiligen
Geistes (1 Thess 1,6), mit dem Jubel des Herzens, mit dem Eifer der Liebe und
mit der ganzen Hingabe eines ergebenen Willens.
2. Warum sollte man auch nicht
Festmahl halten im Herrn (Lk 15,32; Phil 3,1) und sich freuen, da doch der
herrlichste Teil der christlichen Religion, der den Himmel fast zu berühren
schien, tot war und wieder lebendig wurde, verloren war und wieder gefunden
wurde (Lk 15,24.32)?
3. Wir hörten es mit unseren
Ohren (Ps 17,45) und konnten es nicht glauben. Wir lasen es in den Büchern und
staunten über den alten Ruhm des Einsiedlerlebens und über die große Gnade
Gottes in ihm. Doch plötzlich fanden wir es in den Fluren des Waldes (Ps
131,6), auf dem Berge Gottes, auf dem fruchtbaren Berg (Ps 67,16), wo schon die
Schönheiten der Wüste Frucht bringen und die Hügel sich mit Freude umgürten (Ps
64,13).
4. Dort nämlich erscheint durch
euch dieses Leben schon vor allen, in euch zeigt es sich, bisher unbekannt,
wird es bekannt. Mit Hilfe weniger einfacher Menschen führt er selbst es uns
vor Augen, der mit Hilfe weniger einfacher Menschen sich die ganze Welt
unterworfen hat, zur Verwunderung der Welt. Mögen nämlich die Wunder, die der Herr auf
Erden wirkte, gewiss auch groß und göttlich gewesen sein, dieses eine aber
überstrahlte alle anderen und erleuchtete alles übrige, dass er, wie gesagt,
mit Hilfe weniger einfacher Menschen sich die ganze Welt und die ganze
Erhabenheit ihrer Weisheit unterworfen hat. Dieses Wunder begann er nun auch in
euch zu wirken.
6. Ja, Vater, so ist es vor dir
wohlgefällig (Mt 11,26). Denn du hast das vor den Weisen und Klugen dieser Welt
verborgen und den Kleinen geoffenbart (Mt 11,25). Fürchtet euch also nicht,
kleine Herde, spricht der Herr, sondern seid voll Vertrauen, denn es hat Gott,
dem Vater, gefallen, euch das Reich zu geben (Lk 12,32).
Die Berufung der Brüder
7. Schaut doch auf eure Berufung,
Brüder (1 Kor 1,26)! Wo ist ein Weiser unter euch? Wo ein Schriftgelehrter? Wo
ein Wortführer dieser Welt (1 Kor 1,20)? Denn wenn es auch einige Weise unter
euch gibt, so hat er dennoch durch die Einfachen die Weisen gesammelt, er, der
sich einst Könige und Philosophen dieser Welt durch Fischer unterworfen hat.
8. Lasst also, lasst die Weisen
dieser Welt, die vom Geist dieser Welt aufgeblasen sind (1 Kor 2,12), nach dem
Hohen trachten (Röm 12,16) und die Erde belecken (Ps 71,9), mit ihrer Weisheit
in die Hölle hinabstürzen. Ihr aber setzt euer Beginnen fort, während dem
Sünder eine Grube gegraben wird (Ps 93,13). Ihr wurdet Toren wegen Gott.
Ergreift durch die Torheit Gottes, die weiser ist als alle Menschen (1 Kor
1,25), unter der Führung Christi die demütige Lebensweise (Ps 2,12), um in den
Himmel aufzusteigen.
9. Eure Einfachheit hat schon
viele zum Eifer angespornt (2 Kor 9,2); eure Genügsamkeit und äußerste Armut (2
Kor 8,2) beschämt schon die Habgier vieler; eure Abgeschiedenheit flößt schon
sehr vielen einen Schrecken vor jenen Dingen ein, die Lärm zu verursachen
scheinen. Wenn es also irgendeinen Trost in Christus gibt, irgendeine
Ermutigung in der Liebe, irgendeine Gemeinschaft des Geistes, wenn es ein
herzliches Erbarmen gibt, macht meine Freude vollkommen (Phil 2,1-2), aber nicht nur meine Freude, sondern
die Freude aller, die den Namen des Herrn lieben (Ps 118,132): im bunten, vom
Gold der göttlichen Weisheit geschmückten Kleid der Königin, die zur Rechten
des Bräutigams steht (Ps 44, 10), möge durch euren Eifer, durch euer
inständiges Bemühen dieser Schmuck einer heiligen Neuheit wieder hergestellt
werden. zur Ehre Gottes, zu eurem großen Ruhm und zur Freude aller Guten.
Vorwurf der Neuheit
10. "Neuheit" sage ich
wegen der bösen Zungen von qottlosen Menschen (Sir 28,28), vor deren Angriff
euch Gott in der Verborgenheit seines Angesichtes schützen möge (Ps 30, 21).
Weil sie das offenbare Licht der Wahrheit nicht verdunkeln können, erregen sie
sich am bloßen Wort "Neuheit". Alt sind sie selbst, und in ihrer
alten Gesinnung sind sie unfähig, Neues zu denken. Sie sind alte Schläuche, die
neuen Wein nicht fassen. Wenn er in sie gegossen würde, würden sie zerreißen
(Mt 9,17; Mk 2,22; Lk 5,37).
11. Aber diese Neuheit ist nicht
eine neuartige Eitelkeit. Sie ist eine Sache der alten Religion, die
Vollkommenheit der in Christus begründeten Frömmigkeit, das alte Erbe der
Kirche Gottes. Angekündigt in der Zeit der Propheten, wurde sie, als die Sonne
der neuen Gnade schon aufgegangen war, von Johannes dem Täufer wieder
eingeführt und erneuert (Mt 3,1-4; Mk 1,3-6; Lk 3,2-4), vom Herrn selbst oft
mit größter Liebe geübt (Mt 14,23; Mk 1,35.45; 6,46; 9,1; Lk 14,1.42; 5,16;
9,18; Joh 6,15) und von seinen Jüngern ersehnt, als er noch bei ihnen war.
12. Als die, die mit ihm auf dem
heiligen Berge waren, die Herrlichkeit seiner Verklärung gesehen hatten (Mt
17,2f; Mk 9,1f; Lk 9,33f), war Petrus sofort insofern außer sich und wusste
nicht, was er sagte, als er beim Anblick der Majestät des Herrn das allgemeine
Wohl in sein persönliches Glück einschließen wollte. Darin aber war er Herr seiner
selbst und wusste sehr wohl, was er sagte, als er, nachdem er seine Süßigkeit
verkostet hatte (Ps 33,9), es für sich für das beste hielt, immer hier zu sein.
Er begehrte dieses Leben in der Gemeinschaft mit dem Herrn und den himmlischen
Bürgern, die er bei ihm gesehen hatte, mit den Worten: "Herr, hier ist gut
sein für uns. Wir wollen hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elija
eine" (Mt 17,4). Wenn er darin erhört worden wäre, hätte er ohne Zweifel
nachher drei andere Hütten erbaut, eine für sich, eine für Jakobus, eine für
Johannes.
Ursprünge des Eremitenlebens
13. Und nach dem Leiden des
Herrn, als die Erinnerung an sein vergossenes Blut noch frisch war und in den
Herzen der Gläubigen brannte, begannen Männer das Leben in der Einsamkeit zu
wählen, die Armut des Geistes zu befolgen und einander in der fruchtbaren Muße
durch geistliche Übungen und in der Betrachtung Gottes zu übertreffen, so dass
sich die Wüsten bevölkerten. Unter anderen lesen wir von den beiden Paulus und
Makarius, von Antonius, Arsenius und sehr vielen anderen. Sie sind gleichsam
konsularische Männer im Staate desheiligen Lebenswandels, hervorragende Namen,
Adelige im Staate Gottes. Sie haben den Ehrentitel eines Triumphators wegen des
Sieges über die Welt, über den Fürsten dieser Welt und über ihren Körper, wegen
der Sorge um ihre Seele und um den Herrn, ihren Gott (Jdt 5,17).
Lasst sie reden
14. Schweigen mögen also die, die
in der Dunkelheit über das Licht urteilen und euch der Neuerung beschuldigen,
aus dem Überströmen ihres bösen Willens. Sie selber sollten eher als veraltet
und eitel getadelt werden. Aber Lobredner und Verleumder werdet ihr immer
haben, wie auch der Herr. Die Lobredner lasst unbeachtet. Das Gute das sie an
euch lieben, das liebt an ihnen. Die Verleumder überseht und betet für sie. Vergesst,
was hinter euch liegt (Phil 3,13). Geht an den Hindernissen vorbei, die euch
neben dem Weg zur Rechten und Linken gelegt sind (Ps 139,6). Strebt nach dem,
was vor euch liegt (Phil 3,13). Denn wenn ihr jedesmal entweder den Lobrednern
antworten, oder mit den Verleumdern streiten wollt, verliert ihr Zeit. Das ist
bei einem heiligen Vorhaben kein geringer Verlust. Wer einen aufhält, der von
der Erde zum Himmel eilt, schadet ihm doch sehr, auch wenn er ihn nicht
festhält.
II. Aufruf zur Demut
Das erhabene Ideal der Brüder
15. Seid nicht nachlässig, seid
nicht säumig! Ein weiter Weg steht euch bevor (1 Kön 19,7). Denn erhaben ist
euer Beruf. Er übersteigt die Himmel, ist dem Leben der Engel gleich, ähnlich
der Reinheit der Engel. Ihr habt nicht nur in jeder Hinsicht die Heiligkeit
gelobt, sondern die Vollkommenheit aller Heiligkeit und die Vollendung jeder
Vollkommenheit (Ps 118,96). Es ist nicht eure Sache, müde die für alle
geltenden Gebote zu erfüllen, und auch nicht, nur darauf zu achten, was Gott
befiehlt, sondern was er will, und zu prüfen, was der gute, wohlgefällige und
vollkommene Wille Gottes ist (Röm 12,2).
16. Andere sollen Gott dienen,
ihr aber sollt ihm anhangen. Andere sollen an Gott glauben, von ihm wissen, ihn
lieben und verehren. Ihr aber sollt ihn verkosten, innerlich begreifen,
erkennen und genießen. Etwas Großes ist das und etwas Schwieriges. Aber der in
euch ist, ist allmächtig und gut. Er verspricht in Güte, vergilt in Treue und hilft
unermüdlich. Denen, die aus großer Liebe zu ihm Großes versprechen und im
Glauben und in der Hoffnung auf seine Gnade Größeres beginnen, als ihre Kräfte
gestatten, denen verleiht er den Willen und die Sehnsucht dazu. Der im voraus
die Gnade des Willens gibt, fügt auch die Kraft zum Erfolg hinzu. Wenn der
Mensch für Gott in Treue getan hat, was er als Mensch konnte, wird Gott selbst,
wenn ein Verleumder ihn anklagt, in Barmherzigkeit seinem Armen Recht
verschaffen und seine Sache führen, weil der Mensch getan hat, was er konnte
(Mk 14,8).
Gefahren: Selbstgefälligkeit
17. Ferne sei dennoch, Brüder,
vom Urteil eures Gewissens, von eurer Kleinheit und Niedrigkeit und von eurem
Munde jeder Hochmut. Denn von sich hoch zu denken ist der Tod. Leicht kann einer,
der sich in der Höhe sieht, schwindelig werden und sein Leben gefährden. Gebt
eurem Beruf einen anderen Namen, und einen anderen Titel schreibt auf euer
Werk!
18. Haltet euch vielmehr für
ungezähmte, wilde Tiere, die in Käfige gesperrt sind, weil sie anders auf
gewöhnliche Weise nicht gezähmt werden konnten, und nennt euch so! Schaut auf
die Tugend derer, die weit über euch stehen, und bewundert ihren Ruhm, die mit
beiden Händen mit größter Tapferkeit kämpfen, wie Aoth, jener Richter Israels,
der beide Hände wie die Rechte gebrauchte (Ri 3,15 Vg). Solange es ihnen
möglich ist, lieben sie es, in ihrem Inneren mit großer Hingabe für die Liebe
frei zu sein, um die Wahrheit zu betrachten. Wenn es aber die Notwendigkeit
fordert oder eine Pflicht ruft, wenden sie sich mit größter Bereitschaft der
äußeren Tätigkeit zu, ohne in ihr aufzugehen, um die Wahrheit der Liebe zu
erfüllen.
Dünkel
19. Hüte dich auch, Diener
Gottes, dir den Anschein zu geben, die zu verurteilen, die du nicht nachahmen
willst! Ich möchte auch, dass du, immer noch krank, das tust, was jener tat,
der sagte, obwohl er der gesündeste war: "Jesus Christus ist gekommen, um die
Sünder zu retten, von denen ich der erste bin" (1 Tim 1,15). Denn Paulus
sagte das nicht in einer unüberlegten Lüge, sondern in einer richtigen
Selbsterkenntnis. Wer sich nämlich in einer ernsten Prüfung selbst erkennt,
glaubt, dass keine Sünde seiner Sünde gleichkommt, weil er keine Sünde wie die
seine erkennt.
20. Glaube also nicht, dass die
Sonne, gemeinsam für alle, nur in deiner Zelle leuchtet, dass es nur bei dir
heiter ist, dass die Gnade Gottes nur in deinem Herzen wirksam ist. Ist Gott
nur ein Gott der Einsiedler? Er ist vielmehr ein Gott aller Menschen. Denn Gott
erbarmt sich aller und er hasst nichts von dem, was er geschaffen hat (Weish
11,24). Du solltest lieber daran denken, dass es überall heiter ist,
ausgenommen bei dir, und eher von dir eine schlechte Meinung haben als von
allen anderen.
III. Mahnung zur Beharrlichkeit
Die Verantwortung der Brüder
21. Wirkt vielmehr mit Furcht und
Zittern euer eigenes Heil (Phil 2,12)! Nicht wie die andern sind, sondern wie
sie, soweit es an euch liegt, durch euch werden, daran sollt ihr denken; nicht
nur an die, die jetzt leben, sondern auch an die, die nach euch kommen, die
euch in eurem heiligen Entschluss nachahmen werden. Von euch, von eurem
Beispiel, von eurem Ansehen wird in diesem Gebiet die ganze Zukunft dieses
heiligen Ordens abhängen.
22. Deswegen werdet ihr von euren
Nachfolgern Väter und Gründer genannt werden, mit der Ehrfurcht, die Nachahmern
gebührt. Was immer von euch festgesetzt wurde, was immer durch eure Praxis und
Beobachtung zur Gewohnheit wurde, werden eure Nachkommen ohne Zurücknahme
einhalten müssen und niemand wird es ändern dürfen. Ihr werdet für eure
Nachfolger das sein, was für uns die unabänderlichen Gesetze der höchsten und
ewigen Wahrheit sind, die alle erforschen und kennen sollen, die aber niemand
in Frage stellen darf.
23. Gott aber sei Dank, weil es
euch zur Ehre und euren Nachkommen zum Nutzen gereichen wird, wenn ihr. das,
was ihr inzwischen befolgt, fromm und mutig befolgt, und wenn sie euch in Treue
nachahmen. Und wenn es günstig ist, etwas zu ändern, wird Gott euch das
offenbaren. Denn unbeschadet der Ehrfurcht, die der Heiligkeit der Kartause 20
in jeder Hinsicht gebührt und die mit allem Lob gepriesen werden muss, ist in
jenen schrecklichen Alpen und bei dem ununterbrochenen Frost vieles notwendig,
was natürlich in diesen Gegenden für die, die mit Feldfrüchten zu frieden sind
und freiwillig die
Armut befolgen, nicht so
notwendig scheint.
Eifer auf dem Berg Gottes
24. Ihr versteht, was ich sage.
Denn der Herr wird euch das Verständnis geben (2 Tim 2,7). Ich freue mich in
euch. Mag ich auch körperlich abwesend sein, bin ich doch geistig an- wesend.
Und wenn ich eure Ordnung sehe (Kol 2,5), vor allem aber den geistlichen Eifer,
die Fülle des Friedens (Ps 42,7), die Gnade der Einfachheit, die Strenge in der
Beobachtung der Regel, selbst .die Süßigkeit des Heiligen Geistes in der gegenseitigen
Liebe, die in jeder Hinsicht vollkommene Frömmigkeit in eurem Leben, dann
frohlocke ich von ganzem Herzen in der Erinnerung an den Berg Gottes. Mit
Hingabe verehre ich die Erstlingsfrüchte des Heiligen Geistes (Röm 8,23) und
das Unterpfand der Gnade in der Hoffnung, dass das religiöse Leben dort wachsen
wird.
25. Denn der Name "Berg
Gottes" selbst ist das Vorzeichen einer guten Hoffnung. Wie nämlich der
Psalm vom Berge Gottes sagt, wird dort das Geschlecht derer wohnen, die den
Herrn suchen, die das Antlitz des Gottes Jakobs suchen, ein Geschlecht mit
unschuldigen Händen und reinem Herzen, das nicht vergeblich seine Seele
erhalten hat (Ps 23,3.4.6. Vg). Denn gerade das ist euer Beruf: den Gott Jakobs
suchen, nicht in der gewöhnlichen Weise wie alle Menschen, sondern Gottes Antlitz
selbst suchen, das Jakob gesehen hat, der sagte: "Ich habe den Herrn
gesehen von Angesicht zu Angesicht und meine Seele ward gerettet" (Gen
32,30).
Übergang
26. Denn das Angesicht Gottes
suchen, das heißt, Gott zu erkennen suchen von Angesicht zu Angesicht, das
Jakob gesehen hat und von dem der Apostel sagt: "Dann werde ich erkennen,
wie auch ich erkannt bin. Jetzt sehen wir im Spiegel und im Rätsel, dann aber
von Angesicht zu Angesicht, wie er ist" (1 Kor 13,12). Dieses Angesicht in
diesem Leben beständig suchen (Ps 104,4), durch die Unschuld der Hände und
durch die Reinheit des Herzens, das ist Frömmigkeit, die, wie Ijob sagt,
Verehrung Gottes ist (Ijob 28,28 LXX). Wer diese nicht besitzt, hat seine Seele
vergeblich erhalten. Er lebt umsonst oder er lebt überhaupt nicht, weil er
nicht das Leben lebt, um dessentwillen er seine Seele erhalten hat, um darin zu
leben.
1. Teil
Der Sinnenverhaftete Mensch (homo
animalis)
1.Kapitel: Die Zelle und ihre
Bewohner
I. Die Zelle
Wahre Einsamkeit
27. Diese Frömmigkeit ist eine
beständige Erinnerung an Gott, eine ununterbrochene Aufmerksamkeit, um ihn zu
erkennen, eine unermüdliche, liebende Hinwendung zu seiner Liebe, sodass kein
Tag - was sage ich? - keine Stunde jemals den Diener Gottes antrifft, in der er
sich nicht abmüht in geistlicher Übung und bestrebt ist, Fortschritte zu
machen, oder in der ihm nicht die Süßigkeit der Erfahrung Gottes geschenkt wird
und die Freude des Genusses. Das ist die Frömmigkeit, zu der der Apostel den geliebten
Schüler ermahnt, wenn er sagt: "Übe dich in der Frömmigkeit. Denn
körperliche Übung nützt nur wenig. Die Frömmigkeit aber ist zu jedem guten
Werke nützlich. Sie hat die Verheißung für das gegenwärtige und das zukünftige
Leben" (1 Tim 4,7-8).
28. Nicht nur die äußere Form der
Frömmigkeit, sondern ihre Wahrheit in allem und vor allem verspricht eure
Kleidung und verlangt eure Profess. Denn ebenso spricht der Apostel: "Es
gibt welche, die den Schein der Frömmigkeit wahren, aber ihre Kraft verleugnen"
(2 Tim 3,5).
29. Wer immer von euch diese
Frömmigkeit nicht in seinem Herzen besitzt, nicht in seinem Leben kundtut,
nicht in seiner Zelle übt, sollte nicht Einsiedler genannt werden, sondern
Einsamer. Die Zelle ist für ihn nicht Zelle, sondern Gefängnis und Kerker.
Wirklich einsam ist der, mit dem Gott nicht ist. I n Wahrheit ist jener ein
Gefangener, der nicht in Gott frei ist. Denn Einsamkeit und Gefängnis sind
Namen des Elends. Die Zelle aber darf in keiner Weise ein erzwungenes Gefängnis
sein, sondern sie muss eine Wohnung des Friedens sein. Das verschlossene Tor
soll nicht ein Versteck sein, sondern Abgeschiedenheit.
30. Der nämlich, mit dem Gott
ist, ist niemals weniger allein, als wenn er allein ist. Denn dann genießt er
in Freiheit seine Freude. Dann gehört er sich selbst, um Gott in sich zu
genießen und sich in Gott. I m Lichte der Wahrheit und in der Heiterkeit eines reinen Herzens wird die
Reinheit seines Gewissens von selbst offenbar, und frei entfaltet sich in ihm
das Gedächtnis, das von Gott berührt ist. Und es wird entweder der Verstand
erleuchtet und die Liebe genießt das Gut, das sie besitzt, oder der Mensch
beweint, ohne gezwungen zu werden, sich selbst und das Versagen der
menschlichen Schwachheit.
Zelle und Himmel
31. Deswegen lebt ihr
entsprechend eurer Berufung mehr im Himmel als in den Zellen. Ihr habt die Welt
völlig von euch ausgeschlossen und habt euch ganz mit Gott eingeschlossen.
Zelle und Himmel sind ja verwandte Wohnungen. Denn wie Himmel und Zelle (caelum
- cella) irgendwie verwandte Worte zu sein scheinen, so sind sie auch in der
Frömmigkeit verwandt. Von celare (verbergen) scheinen nämlich die Worte Himmel
und Zelle abgeleitet zu sein. Was im Himmel verborgen ist, das ist auch in den
Zellen verborgen. Was man im Himmel tut, das tut man auch in den Zellen. Worin
besteht dieses tun? Es ist ein Frei sein für Gott, ein Genießen Gottes. Wenn
das nach der Regel in den Zellen fromm und treu gefeiert wird, wage ich zu
sagen, dass die heiligen Engel Gottes in den Zellen wie im Himmel wohnen und
sich in den Zellen in gleicher Weise wie im Himmel freuen.
32. Denn wenn in der Zelle
ununterbrochen Himmlisches ausgeführt wird, dann kommt der Himmel der Zelle
sehr nahe durch die Ähnlichkeit des Geheimnisses, durch das liebende
Ergriffensein der Frömmigkeit und durch die Ausführung des ähnlichen Werkes.
Und schon ist der Weg für den Geist, der betet oder sogar aus dem Körper
heraustritt, von der Zelle zum Himmel nicht mehr weit und schwierig. Denn man
steigt oft von der Zelle in den Himmel auf. Kaum jemals aber steigt man von der
Zelle in die Hölle hinab, außer im Sinne des Psalmes: Sie mögen lebend
hinabsteigen, damit sie nicht sterbend hinabsteigen (Ps 54,16).
33. Denn auf diese Weise steigen
die Bewohner der Zellen oft in die Hölle hinab. Wie sie sich nämlich gerne in
beständiger Betrachtung die himmlischen Freuden vor Augen halten, um sie
glühender zu erstreben, so auch die höllischen Qualen, um sie zu fürchten und
zu meiden. Und das ist es, was sie für ihre Feinde im Gebet erbitten, dass sie
lebend in die Hölle hinabsteigen (Ps 54,16). Sterbend steigt kaum jemals einer
von der Zelle in die Hölle hinab, weil kaum einer in ihr bis zum Tode verharrt,
ohne für den Himmel vorherbestimmt zu sein.
Zelle und Tempel
34. Die Zelle wärmt, ernährt und
umarmt den Sohn der Gnade, die Frucht ihres Leibes, und führt ihn zur Fülle der
Vollkommenheit, macht ihn würdig des Gespräches mit Gott. Einen Fremden aber
oder unechten Sohn weist sie schnell von sich und verwirft ihn. Daher sagt der
Herr zu Mose: "Löse die Sandalen von deinen Füßen. Denn der Ort, wo du
stehst, ist heiliges Land" (Ex 3,5). Denn ein heiliger Ort oder ein
heiliges Land kann nicht lange einen Leichnam von toten Gefühlen ertragen, oder
einen Menschen, der im Herzen abgestorben ist (Ps 30,13).
35. Die Zelle ist ein heiliges
Land, ist ein heiliger Ort, in dem der Herr und sein Diener oft miteinander
sprechen, wie ein Mann mit seinem Freund (Ex 33,11), wo sich die treue Seele
oft mit dem Wort Gottes verbindet, sich die Braut mit dem Bräutigam vereint,
das Himmlische mit dem Irdischen, das Göttliche mit dem Menschlichen. Wie der
Tempel das Heiligtum Gottes ist, so ist die Zelle das Heiligtum des Dieners
Gottes.
36. Denn sowohl im Tempel als
auch in der Zelle werden die göttlichen Geheimnisse gefeiert; öfter aber in der
Zelle. Im Tempel werden sichtbar und zeichenhaft von Zeit zu Zeit die
Sakramente des christlichen Glaubens gespendet. In den Zellen aber wird wie im
Himmel in derselben Wahrheit und Ordnung, zwar noch nicht in der Majestät der
Reinheit selbst und noch nicht in der Sicherheit der Ewigkeit die Wirklichkeit
aller Sakramente unseres Glaubens ohne
Unterbrechung gefeiert.
37. Daher stößt die Zelle, wie
gesagt, einen Fremden, der nicht Sohn ist, schnell von sich, wie eine
Fehlgeburt, speit ihn aus wie eine unnütze und schädliche Speise. Nicht lange
kann sie einen solchen in ihrem Innern dulden, da sie eine Schule der
Frömmigkeit ist. Es kommt der Fuß des Stolzes und trägt ihn weg; die Hand des
Sünders und führt ihn mit (Ps 35,12). Ausgestoßen, vermag er nicht zu stehen,
sondern flieht elend, nackt und zitternd, wie Kain vor dem Angesicht des Herrn
(Gen 4, 16), ausgesetzt den Lastern und Dämonen, sodass der seiner Seele den
Todesschlag versetzt, der ihm zuerst begegnet (Gen 4,14). Wenn er aber eine
Zeit lang in der Zelle verharrt, nicht in der Beständigkeit der Tugend, sondern
in hartnäckigem Elend, dann ist ihm die Zelle gleichsam ein Kerker oder wie ein
Grab für einen Lebenden.
Zelle und Fortschritt
38. Durch die Züchtigung des
Verdorbenen wird der Weise weiser (Spr 19,25) und der Gerechte wird seine Hände
im Blute des Sünders waschen (Ps 57,11). So spricht also der Prophet:
"Wenn du dich bekehrst, Israel, bekehre dich" (Jer 4,1). Das heißt:
Besteige den Gipfel der vollkommenen Bekehrung! Niemand ist es nämlich gewährt,
lange im selben Zustand zu verweilen (Ijob 14,2). Der Diener Gottes muss
entweder voranschreiten oder Rückschritte machen. Entweder strebt er nach oben,
oder er wird nach unten gedrängt.
39. Von euch allen wird aber
Vollkommenheit verlangt, wenn auch nicht eine gleichförmige. Aber wenn du
anfängst, beginne in vollkommener Weise. Wenn du schon im Fortschritt begriffen
bist, schreite in Vollkommenheit voran. Wenn du schon eine Stufe der
Vollkommenheit erreicht hast, dann nimm an dir selbst das Maß und sprich mit
dem Apostel: "Nicht dass ich es schon ergriffen hätte oder vollkommen
wäre. Ich folge ihm aber, um es zu ergreifen, weil auch ich ergriffen worden
bin. Eines aber mache ich: Ich vergesse das, was hinter mir liegt, und strecke
mich nach dem aus, was vor mir liegt. Dem vorgesteckten Ziele eile ich zu, dem
Siegespreis der himmlischen Berufung in Christus Jesus" (Phil 3,12-14).
40. Dann fügt er hinzu:
"Wir, die wir vollkommen sind, wollen das bedenken" (Phi! 3,15). I n
dieser Lehre des Apostels wird uns klar gezeigt, dass das vollkommene Vergessen
dessen, was hinter uns liegt, und das vollkommene Sich-Ausstrecken nach dem,
was vor uns liegt, die wirkliche Vollkommenheit des gerechten Menschen in
diesem Leben ist und die Vollkommenheit dieser Vollkommenheit dort sein wird,
wo der vollkommene Besitz des Siegespreises unserer himmlischen Berufung sein
wird.
II. Die Bewohner der Zelle
Drei Stufen
41. Wie sich ein Stern vom andern
an Klarheit unterscheidet (1 Kor 15,41), so auch eine Zelle von der andern
durch den Lebenswandel, nämlich der Anfänger, der Fortgeschrittenen und der
Vollkommenen. Die Stufe der Anfänger kann als sinnenverhaftet (animalis)
bezeichnet werden, die der Fortgeschrittenen als verstandesmäßig (rationalis),
die der Vollkommenen als geistlich (spiritualis). Verzeihen muss man manchmal
in manchen Dingen denen, die noch sinnenverhaftet sind, nicht aber denen, die
schon als verstandesmäßig gelten. Wiederum muss man den Verstandesmäßigen manche
Fehler nachsehen, die den Geistlichen nicht nachgesehen werden. Denn bei ihnen muss
alles vollkommen sein, eher der Nachahmung und des Lobes würdig als des Tadels.
42. Jeder Orden besteht aus
diesen drei Arten von Menschen. Wie sie durch eigene Bezeichnungen
unterschieden werden, so werden sie auch an der Eigenart ihrer Bestrebungen
erkannt. Darum müssen alle Söhne des Tages (1 Thess 5,5) an jedem Tag' immer
sorgfältig erforschen, was ihnen mangelt (Ps 38,5), woher sie gekommen sind,
wieweit sie gelangt sind und auf welcher Stufe des Fortschritts sie sich an den
einzelnen Tagen oder Stunden nach ihrer Selbsterkenntnis befinden.
43. Denn die Sinnenverhafteten
sind die, die sich durch ihre Natur und nicht durch die Vernunft leiten lassen,
auch nicht von der liebenden Sehnsucht gezogen werden. Doch entweder von einer
Autorität bewogen, oder von einer Lehre gemahnt, oder von einem Beispiel
angeregt, billigen sie das Gute, wo sie es finden, und folgen gleichsam blind,
an der Hand geführt, das heißt: sie ahmen nach. Verstandesmäßig sind die, die
durch das Urteil des Verstandes und durch die Unterscheidungsgabe des
natürlichen Wissens eine Kenntnis des Guten und ein Verlangen danach haben. Sie
haben aber noch nicht die Erfahrung der Liebe. Vollkommen sind, die sich vom
Geiste leiten lassen, die vom Heiligen Geist in größerer Fülle erleuchtet
werden. Und weil sie Geschmack haben am Guten (saolt), zu dem sie die Regung
ihres Herzens hinzieht, werden sie weise genannt (sapientes). 23 Weil sie aber
der Heilige Geist umkleidet, wie er einst Gedeon umkleidet hat (Ri 6,34), weil
sie wie ein Kleid des Heiligen Geistes sind, werden sie geistlich genannt.
Eine eigene Vollkommenheit
44. Auf der ersten Stufe achtet
man auf den Körper, auf der zweiten richtet man sein Augenmerk auf den Geist,
auf der dritten findet man seine Ruhe nur in Gott. Wie die einzelnen Stufen
eine bestimmte Art des Fortschritts kennen, so haben sie nach ihrer Art ein
bestimmtes Maß an Vollkommenheit.
45. Der Anfang des Guten im
sinnenverhafteten Lebenswandel ist der vollkommene Gehorsam. Der Fortschritt
besteht darin, den Körper zu unterwerfen und dienstbar zu machen. Die
Vollkommenheit ist erreicht, wenn die Gewohnheit, Gutes zu tun, sich in Freude
verwandelt hat. Der Anfang der verstandesmäßigen Lebensweise ist aber die
Erkenntnis dessen, was in der Lehre des Glaubens vorgelegt wird. Der
Fortschritt besteht in der Bereitung ähnlicher Speisen, wie sie vorgelegt
werden ( Lk 10,8).24 Vollkommen aber ist der vernunftgemäße Mensch, wenn das
Urteil des Verstandes sich in liebende
Zuneigung der Seele verwandelt.
Die Vollkommenheit der verstandesmäßigen Stufe ist der Anfang der geistlichen.
Ihr Fortschritt ist gegeben, wenn der Mensch mit enthülltem Angesicht die
Herrlichkeit Gottes schaut. Vollkommen ist der geistliche Mensch, wenn er in
dasselbe Bild verwandelt wird, von Klarheit zu Klarheit, wie durch den Geist
des Herrn (2 Kor 3,18).
2. Kapitel: Der
Sinnenverhaftete Mensch oder der Anfänger
I. Der Anfang des sinnenverhafteten Menschen:
Der vollkommene Gehorsam
Die Stufe des
sinnenverhafteten Menschen
46. Um also zuerst unsere
Abhandlung mit der Besprechung der ersten Stufe fortzuführen: Der
sinnenverhaftete Zustand des Menschen ist eine Lebensweise, in der der Mensch
den Sinnen des Körpers dient. Die Seele ist nämlich durch die Sinne des Körpers
gleichsam außer sich, hingegeben an die Freuden, die ihr durch die materiellen
Dinge zuteil werden, die sie liebt. Sie erfreut sich an ihrem Genuss und nährt
damit ihre Sinnlichkeit. Wenn sie aber in sich zurückkehrt, kann sie die Körper,
mit denen sie durch ein festes Band der Liebe und Gewohnheit vereinigt ist,
zwar nicht mit sich in den Bereich der unkörperlichen Natur nehmen. Sie zieht
aber auch dorthin deren Bilder mit und verkehrt freundschaftlich mit
ihnen.
47. An diese gewöhnt, glaubt die
Seele, es gäbe nur das, was sie äußerlich verlassen hat, oder was sie in ihrem
Innern mitgenommen hat. Sie hält es für angenehm, so lange wie möglich nach den
Genüssen des Körpers zu leben. Wenn sie sich aber von ihnen abwendet, kann sie
auch nicht ohne körperliche Bilder denken. Wenn sie sich aber aufrichtet, um
geistliche oder göttliche Dinge zu betrachten, kann sie sich diese auch nur
vorstellen nach Art von Körpern oder körperlichen Dingen.
Torheit …
48. Abgewendet von Gott, wird die
Seele töricht, weil sie allzu sehr auf sich selber bezogen ist, und sie wird so
stumpfsinnig, dass sie entweder nicht geleitet werden will oder kann. Wenn sie
aber durch den Stolz von sich allzusehr nach außen gerissen wird, wird sie klug
im Sinne des Fleisches (Röm 8,6), und sie scheint sich selber weise zu sein,
obwohl sie töricht ist, wie der Apostel sagt: "Sie erklären, daß sie weise
sind, sind aber töricht geworden" (Röm 1,22).
... oder Einfalt
49. Zu Gott aber hingewendet,
wird sie heilige Einfalt. Das ist der immer gleiche Wille, auf das gleiche Ziel
gerichtet. So war Ijob, ein einfacher und aufrechter Mann, der Gott fürchtete
(Ijob 1,1). Die Einfalt ist im eigentlichen Sinne ein Wille, der vollkommen auf
Gott hingelenkt ist, der nur eines vom Herrn erbittet, nur dieses sucht (Ps
26,4) und nicht darauf aus ist, sich in der Welt zu zerstreuen. Die Einfalt ist
auch wahre Demut im Lebenswandel, die natürlich mehr das Bewusstsein der
Tugend als deren Ruf liebt. Denn der einfältige Mann meidet es nicht, in dieser
Welt töricht zu erscheinen, um weise zu sein in Gott (1 Kor 3,18). Nochmals:
Einfalt ist die ausschließliche Hinwendung des Willens zu Gott. Der Wille ist
aber noch nicht von der Vernunft geformt, um verlangende Liebe (amor) zu
werden, das heißt geformter Wille. Er ist auch noch nicht erleuchtet, um
selbstlose Liebe (caritas) zu werden, das heißt die Seligkeit der Liebe.
Anfang der Weisheit
50. Die Einfalt besitzt also in
sich einen Anfang der Schöpfung Gottes (Jak 1,18), den einfältigen und guten
Willen, der gleichsam eine ungeformte Materie von dem ist, was der gute Mensch
werden soll. Am Anfang der Bekehrung bietet sie ihrem Schöpfer diese Materie
an, damit er sie forme. Sie hat nämlich mit dem guten Willen auch schon einen
Anfang der Weisheit, das heißt: die Furcht des Herrn (Ps 110,10). Durch diese
erkennt sie, dass sie sich nicht aus eigener Kraft formen kann und dass nichts
dem Toren so nützt, wie dem Weisen zu dienen (Spr 11,29).
51. Daher unterwirft sie sich
einem Menschen um Gottes willen. Sie überlässt ihm ihren guten Willen, um ihn
in zu formen, in der Gesinnung und im Geiste der Demut. Und schon beginnt die
Furcht Gottes die ganze Fülle der Tugenden zu bewirken. Durch die Gerechtigkeit
unterstellt sie sich einem Oberen. Durch die Klugheit vertraut sie nicht auf
sich. Durch die Selbstbeherrschung meidet sie jedes Urteil. Durch die
Tapferkeit unterwirft sie sich ganz dem Gehorsam, nicht um ihn zu beurteilen,
sondern zu erfüllen.
52. Das ist nämlich die Gattin,
der vom Herrn befohlen wird: „Du wirst dich deinem Mann unterwerfen" (Gen
3,16 LXX). Ihr Mann ist die Vernunft oder der Geist, ihr eigener oder der eines
andern. Diesem Mann nämlich gehorcht mit Recht der einfältige und aufrechte
Mann in sich selbst, richtiger aber und oft auch sicherer in einem andern als
in sich.
Vollkommener Gehorsam
53. Nach der Vorschrift des Herrn
also und selbst nach der Ordnung der Natur muss sich die Gattin dem Mann
rechtmäßig unterwerfen, das heißt: ihm vollkommen gehorchen, ebenso die
sinnenverhaftete Seele dem Geist, dem eigenen Geist oder irgendeinem
geistlichen Menschen. Der vollkommene Gehorsam kennt aber vor allem beim
Anfänger nicht das unterscheidende Nachdenken. Das heißt, er überlegt nicht,
was oder wie befohlen wird, sondern er bemüht sich nur darum, treu und demütig
auszuführen, was vom Obern befohlen wird.
54. Der Baum der Erkenntnis des
Guten und des Bösen im Paradies (Gen 2,10), die Fähigkeit der Unterscheidung,
liegt im Ordensleben beim geistlichen Vater, der alles beurteilt, selbst aber
von niemand beurteilt wird (1 Kor 2,15). Seine Sache ist es, zu unterscheiden,
die der anderen, zu gehorchen. Adam kostete zu seinem Unheil von der Frucht des
verbotenen Baumes, aufgefordert von dem, der ihm zuflüsterte: "Warum hat
euch Gott geboten, von der Frucht dieses Baumes nicht zu essen? 11 (Gen 3,1)
Siehe das prüfende Urteil: Warum das Gebot? Und er fügte hinzu: "Er wusste
nämlich, dass euch, an dem Tage, an dem ihr esst, die Augen geöffnet werden
und' ihr wie Götter sein werdet" (Gen 3,5). Siehe, warum die Vorschrift:
natürlich, weil er nicht wollte, dass sie Götter werden. Adam fragte, aß, wurde
ungehorsam und aus dem Paradies verstoßen (Gen 3,6-24). So ist es auch
unmöglich, dass ein sinnenverhafteter Mensch, der fragt, ein kluger Novize, ein
weiser Anfänger lange in der Zelle verweilen und im gemeinsamen Leben ausharren
kann. Er möge ein Tor werden, um weise zu sein (1 Kor 3,18). Und darin bestehe
all sein kritischer Geist, dass er in diesem Punkte keinen kritischen Geist
besitzt. Das sei seine ganze Weisheit, dass er in dieser Hinsicht keine
Weisheit besitzt.
Die Erkenntnis und ihre
Früchte
55. An dem Punkt, an dem sich das
sinnenverhaftete Leben und die Vernunft begegnen, in der Natur der menschlichen
Seele, hat der Schöpfer in seiner Güte den Verstand gelassen, und die Begabung
und mit der Begabung die Kunstfertigkeit. Damit hat Gott den Menschen über die
Werke seiner Hände gestellt und alle Dinge dieser Welt ihm zu Füßen gelegt (Ps
8,7-8): Für den sinnenverhafteten und stolzen Menschen zum Zeugnis seiner
natürlichen Würde und der verlorenen Ähnlichkeit mit Gott; für den einfältigen
und demütigen Menschen aber als Hilfe, um die Ähnlichkeit mit Gott wieder zu
erlangen und zu bewahren.
56. Dadurch ist das, was von Gott
erkennbar ist, unter ihnen offenbar (Röm 1,19). So kommt man durch die
Schöpfung zum Glauben an den Schöpfer (Röm 1,20). Darin wird die Gerechtigkeit
Gottes erkannt (Röm 1,17) und der Grund, warum die, die gut handeln, des Lebens
würdig sind, die aber anders handeln, des Todes würdig sind (Röm 1,32).
57. Die Schöpfung, die dem
Menschen freiwillig für die natürlichen Bedürfnisse dient, unterwirft sich
deswegen und passt sich an, um nicht nur für die Notwendigkeit zu dienen, die
aus der Sünde kommt, sondern auch für den Willen und für die Lust.
58. Daher ist es allen offenbar,
wie viele und große Dinge, die für dieses Leben notwendig, für Gute und Böse
nützlich und in ihrer Art sehr schön sind, von guten und bösen Menschen
geschaffen worden sind oder geschaffen werden sollen.
59. Daher entstanden in
Wissenschaft, Handwerk und Baukunst durch die ungezählten, vielfältigen
Erfindungen der Menschen so viele Studienfächer, so viele Arten von Berufen,
die Feinheiten einer erlesenen Bildung, die Künste der Beredsamkeit, eine
Vielfalt von Würden und Ämtern und die ungezählten Erforschungen dieser Welt.
Diese Dinge benützen jene Menschen, die die Weisen dieser Welt genannt werden
(Röm 1,22; 1 Kor 1.20), in gleicher Weise wie die, die einfältige Kinder
Gottes, sind (Phil 2,15) für ihre Bedürfnisse und zu ihrem Nutzen. Jene missbrauchen
sie, um ihre Neugier, ihre Lust und ihren Stolz zu befriedigen. Diese aber
gebrauchen sie wegen der Notwendigkeit, ihre Freude haben sie wo anders.
60. Deswegen folgen jenen
Menschen, die Sklaven ihrer Sinne und Körper sind, die Früchte des Fleisches:
Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Feindschaften, Streitigkeiten,
Eifersucht, Zorn, Wortgefechte, Spaltungen, Neid, Schlemmerei, Trunkenheit und
ähnliche Laster. Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erlangen (Gal
5,19-21). Diesen aber folgen die Früchte des Geistes: Liebe, Freude, Friede,
Geduld, Milde, Langmut, Güte, Sanftmut, Treue, Bescheidenheit, Keuschheit,
Enthaltsamkeit (Gal 5,22-23) und Frömmigkeit, die die Verheißung für das
gegenwärtige und zukünftige Leben hat (1 Tim 4,8).
Das Elend des gefallenen
Menschen
61. Solange beide Arten von
Menschen zugleich ihre Handlungen ausführen, sehen die Menschen die gleichen
Handlungen. Gott aber unterscheidet Wünsche und Absichten. Wenn aber jeder in
sich geht, nährt einen jeden sein Gewissen an den Früchten seiner Absicht. Doch
kehren beide nicht in gleicher Weise zum Gewissen zurück. Denn niemand kehrt
gerne nach der Tat zu ihm zurück, wenn er von ihm nicht in rechter Absicht zur
Tat aufgebrochen ist.
62. Wer doch zum Gewissen
zurückkehrt, findet, wenn er seine Begierlichkeit noch nicht besiegt hat, dort
von derselben Begierlichkeit entweder süße Freuden oder schwere Vorwürfe und
verweilt dabei mit seinem Denken. Wer aber seine Begierlichkeit schon besiegt
hat, leidet, solange eine größere Begierde nach dem wahren Guten oder eine
größere Freude daran den Geist noch nicht eingenommen hat, mit einer Art von verhasster
Lust an den Vorstellungen dessen, was er getan, gesehen und gehört hat.
63. Daher sind bei beiden die
Lenden voll von Täuschungen der Vergnügungen (Ps 37,8) und, um Geistliches oder
Göttliches zu denken, versagt das Licht ihrer Augen (Ps 37, 11). Wer nun gegen
die Begierden ankämpft, erleidet Mühen. Er kann seine Neigungen noch nicht
vollkommen besiegen. Wer aber schon nach der Freiheit trachtet, kann dennoch
die gefühlsmäßigen Vorstellungen noch nicht von sich abschütteln, auch nicht
die schädlichen, in Anspruch nehmenden oder müßigen Gedanken, die allenthalben
daraus entstehen.
64. Daher kreisen zur Zeit des
Psalmengesanges, des Gebetes und anderer geistlichen Übungen im Herzen des
Dieners Gottes bildhafte Vorstellungen und Scheingebilde der Gedanken, auch
wenn er sie nicht will und dagegen ankämpft. Von diesen wird wie von unreinen
Vögeln, die sich auf ihn setzen oder ihn umflattern, das Opfer der Hingabe
entweder gänzlich seiner Hand entrissen, oder doch oft sosehr entstellt, dass
der Opfernde in Tränen ausbricht.
65. Es kommt nun zu einer
erbärmlichen und bösen Spaltung in der unglücklichen Seele. Der Geist und die
Vernunft suchen sich den guten Willen und die Absicht des Herzens und den
bereitwilligen Gehorsam des Körpers zu erhalten. Die sinnenverhaftete
Schlechtigkeit raubt sich aber die Ergriffenheit und die Einsicht, und allzu
oft bleibt der Geist ohne Frucht.
66. Daher erklärt sich, dass in
den schwächeren Seelen und in solchen, in denen die Begierden des Fleisches und
der Welt noch nicht vollkommen abgetötet sind, überall die Laster der Neugierde
hervorsprudeln. Daher suchen sie für die Einsamkeit und das Schweigen
ungeordnet Tröstungen, die ihrem
Ordensberuf entgegengesetzt sind:
auf der königlichen Straße (Num 21,22) der gemeinsamen Einrichtungen heimliche Abweichungen
des Eigenwillens; daher der Geschmack an Neuheiten, der Überdruss am Gewohnten.
Diese Versuche scheinen das Jucken und den Ekel der kranken Seele gleichsam
durch Abreiben für kurze Zeit zu lindern, aber erwärmen und entflammen sie und
bewirken so, dass es im folgenden noch schlimmer brennt und noch mehr
juckt.
67. Daher fängt man täglich neue
Beschäftigungen an, erfindet neue Tätigkeiten oder Arbeiten, liest bald dieses,
bald jenes Buch, nicht um den Geist zu erbauen, sondern um sich über die
Langeweile des träge dahin schleichenden Tages hinwegzutäuschen. Wenn der
Einsiedler dann alles Alte und Gewohnte verurteilt hat und Neues fehlt, bleibt
nichts mehr übrig als Hass auf die Zelle und baldige Flucht.
Das große Heilmittel: Gehorsam
68. Der einfache und fromme
Mensch, nämlich der Anfänger im Ordensberuf und in der Einsamkeit, hat weder
die Vernunft, die ihn führt, noch die Neigung, die ihn zieht, noch die
Unterscheidungsgabe, die ihn leitet. Er muss darum gewissermaßen Gewalt gegen
sich selber anwenden und wie der Ton vom Töpfer durch das Gesetz der
Vorschriften gleichsam von fremden Händen gebildet und in aller Geduld geformt
werden. In der sich drehenden Töpferscheibe des Gehorsams und im Feuer der
Erprobung muss er sich dem Willen und Urteil dessen unterwerfen, der ihm
Gestalt und Form gibt.
69. Mag er auch begabt sein, gute
Einfälle haben und durch seinen Verstand hervorragen: all das kann Werkzeug
sowohl für die Laster als auch für die Tugenden sein. Er möge sich also nicht
scheuen belehrt zu werden, wie er dasselbe zum Guten wie zum Schlechten
benützen kann. Denn das ist das eigentümliche Werk der Tugend. Die Begabung
soll den Körper anpassen, die Kunstfertigkeit soll die Natur formen, der
Verstand soll den Geist nicht stolz, sondern gelehrig machen. Denn Talent,
künstlerische Begabung, Verstand und anderes dergleichen werden uns als
Geschenk zuteil. Nicht so die Tugend. Sie will in Demut gelehrt, mit Mühe
gesucht und durch Liebe besessen werden. Da sie all dieser Anstrengungen würdig
ist, kann sie anders nicht gelehrt, gesucht oder besessen werden.
II. Der Fortschritt des sinnenverhafteten Menschen:
Der Körper wird in Dienst genommen
Abtötung des Geistes
70. Zuerst muss also der
unerfahrene Bewohner der Wüste nach der Weisung des Apostels Paulus belehrt
werden, "seinen Leib als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges
Opfer darzubringen, als geistigen Gottesdienst" (Röm 12,1). Um die
übereilte und neugierige Erforschung der geistlichen und göttlichen Wahrheit zu
hemmen - im Anfangseifer des sinnenverhafteten Menschen, der noch nicht
erkennt, was Gottes ist (1 Kor 2,14) - fügt der Apostel hinzu: "Denn ich
sage allen, die unter euch sind, durch die Gnade, die mir gegeben ist, nicht
höher zu denken, als sich geziemt, sondern nüchtern zu denken" (Röm 12,3).
Abtötung des Körpers
71. Die Formung eines jeden, vor
allem aber des sinnenverhafteten Menschen, betrifft den Körper und das
Verhalten des äußeren Menschen. Darum muss er belehrt werden, vernunftgemäß seine
Glieder abzutöten, die irdisch sind (Kol 3,5), und zwischen dem Fleisch und dem
Geist, die beständig miteinander kämpfen (Gal 5,17), gerecht und mit
Unterscheidungsgabe zu urteilen, ohne in seinem Urteil auf die Person des einen
von ihnen zu achten (Röm 2,11).
72. Er soll belehrt werden,
seinen Körper wie einen Kranken, der ihm anvertraut wurde, zu betrachten.
Diesem müssen unnütze Dinge verweigert werden, auch wenn er sie heftig begehrt,
nützliche Dinge aber, auch wenn er sie nicht will, müssen ihm eingeflößt
werden. Er soll mit ihm so verfahren, als ob er nicht ihm gehörte, sondern dem,
von dem wir um einen hohen Preis losgekauft wurden, um Gott in unserem Leibe zu
verherrlichen (1 Kor 6,20).
Festigkeit und Besonnenheit
73. Wiederum muss er belehrt
werden, sich vor dem zu hüten, was der Herr durch den Propheten seinem sündigen
Volke vorwirft: "Ihr habt mich hinter euren Rücken geworfen" (1 Kön
14,9; Ez 23,35). Besonders muss er sich hüten, zuzulassen, dass der Geist um
der Bedürfnisse oder Annehmlichkeiten dieses Lebens willen von der Geradheit
der Berufung oder von der Würde der Natur irgendeinmal in irgendeinem Punkte
abfällt, um seinen Körper zu ehren und zu lieben.
74. Daher muss man den Körper gewiss
härter behandeln, damit er sich nicht empört und überheblich wird; dennoch so, dass
er dienen kann, weil er dem Geist gegeben ist, um zu dienen. Und wir dürfen
unseren Körper nicht so betrachten, als ob wir seinetwegen leben würden,
sondern so, dass wir ohne ihn nicht leben können. Denn die Verbindung, die wir
mit dem Körper haben, dürfen wir nicht nach unserem Belieben abreißen, sondern
wir müssen geduldig ihre rechtmäßige Lösung abwarten und einstweilen alles
beachten, was dieser rechtmäßigen Verbindung entspricht. Wir müssen also so mit
ihm zusammenleben, als ob unsere Verbindung nicht lange dauern würde. Wenn es
aber anders kommt, sollten wir uns nicht beeilen, von ihm zu gehen.
Das Gut des Gehorsams
75. All das verlangt lange und
aufmerksame Mühe Es wäre auch mit einem gefährlichen Irrtum verbunden, wenn
nicht das Gesetz des Gehorsams und die Zelle dem Eintretenden ein für allemal
eine vollständige Weisung für das gemeinsame Leben geben würde, für Nahrung und
Kleidung, für Arbeit und Ruhe, für Schweigen und Einsamkeit und für alles, was zur
Pflege und zu den Bedürfnissen des äußeren Menschen gehört, und so dem
gehorsamen, geduldigen und ruhigen Bruder für die Zukunft Vorsicht und
Sicherheit gewähren würde.
76. Damit ist alles Überflüssige
für immer so beschnitten und abgeschnitten, das Notwendige innerhalb der
Grenzen des entsprechenden Genügens und der Pfade einer allgemeinen Enthaltsamkeit
so umschrieben, dass gültig sei, was die Starken wünschen und wovor die
Schwachen nicht zurückschrecken (RB 64,19). Außerdem soll die Menge der Erlaubnisse
das Gewissen derer, die sie mit Danksagung benützen (1 Tim 4,4; Röm 14,4),
nicht irgendwie verletzen und die Einschränkungen sollen in keiner Weise beim
Diener Gottes für die Genügsamkeit eines disziplinierten und gut erzogenen Körpers
eine Versuchung darstellen.
77. Hier gilt, was Salomo sagt:
"Wer einfältig wandelt, der wandelt sicher" (Spr 10,9). "Wer
aber hart von Gemüt ist, wird ins Unglück fallen" (Spr 28,14). Denn die
notwendigen Dinge sollen so geordnet sein, dass es in Zukunft nicht den geringsten
Anlass zur Klage gibt und dass aller Überfluss abgeschnitten ist. Wenn aber
dennoch im Interesse aller oder eines einzelnen etwas hinzugefügt oder genommen
werden muss, liegt das im Urteil des Priors ohne irgendein Bedenken oder eine
Gefahr für die gehorchenden Untergebenen.
Was die Versuchungen betrifft
78. Der Novize, der ein
Einsiedler werden soll, muss also nach der Norm der gemeinsamen Regel
angeleitet werden, die Begierden seines Fleisches in beständiger Buße für die vergangenen
Sünden zu zähmen. Und um alles übrige zu verachten, soll er zur Verachtung
seiner selbst gelangen.
79. Er muss im Voraus beständig
geschützt werden gegen die Versuchungen, die einen Einsiedlernovizen heftiger
bedrängen. Die Laster hören nicht auf, den Diener Gottes, der Gott freiwillig dient,
zu belästigen, indem der Teufel den Lohn des angebotenen Vergnügens vor Augen
stellt, das Fleisch aufbegehrt und die Welt begehrenswerte Dinge verspricht. Es
versucht uns auch der Herr, unser Gott, um zu prüfen, ob wir ihn lieben oder
nicht (Dt 13,3), nicht damit er selber es erkenne, weil er es gleichsam selber
nicht wüsste, sondern dass es uns gerade durch die Versuchung besser bekannt
werde.
80. Aber jene Versuchungen, die
entweder verdächtig sind oder sich beim ersten Anblick als böse offenbaren,
lassen sich leicht besiegen, und leicht begegnet man ihnen mit Vernunftgründen.
Die sich aber unter dem Anschein des Guten aufdrängen, werden schwieriger
erkannt,. und es ist gefährlicher, sich auf sie einzulassen. So ist es sehr
schwierig, das rechte Maß zu halten in dem, was man für gut hält, und so ist
auch nicht immer jedes Verlangen nach dem Guten sicher.
Die Gefahr des Müßigganges
81. Der Bodensatz aber aller
Versuchungen und schlechten und unnützen Gedanken ist der Müßiggang. Denn das
größte Übel des Geistes ist die träge Muße. Niemals soll der Diener Gottes
müßig sein, mag er sich auch Zeit nehmen für Gott. Denn einen so verdächtigen,
eitlen und weichlichen Namen wie "müßig" darf man einer so
entschiedenen, so heiligen und so ernsten Aufgabe nicht geben. Ist es müßig,
frei zu sein für Gott? Im Gegenteil: das ist höchste Tat. Wenn ein Mensch in
seiner Zelle diese Tat nicht treu und eifrig ausführt und wenn er alles, was er
tut, nicht deswegen tut, um Gott zu dienen, ist er müßig in dem, was er tut.
82. Müßigen Beschäftigungen
nachzugehen, um den Müßiggang zu meiden, ist lächerlich. Müßig aber ist, was
entweder keinen Nutzen hat· oder keinen nützlichen Zweck verfolgt. Man soll
aber nicht nur so handeln, dass man den Tag mit einiger Freude, oder doch ohne
große Langeweile des Müßiggangs verbringt, sondern dass auch aus dem
vollbrachten Tagewerk immer etwas für den Fortschritt der Seele im Gewissen verbleibt,
dass täglich etwas dem Schatz des Herzens hinzugefügt wird. Der gute Einsiedler
soll glauben, dass er an dem Tag nicht gelebt hat, an welchem er sich nicht
erinnern kann, etwas von dem getan zu haben, um dessentwillen man in der Zelle
lebt.
Handarbeiten
83. Fragst du, was du tun sollst,
womit du dich beschäftigen sollst? Vor allem soll außer dem täglichen Opfer des
Gebetes oder der Übung der Lesung ein bestimmter Teil des Tages der täglichen
Erforschung, Besserung und Ordnung des Gewissens zugewiesen werden.
84. Ferner soll man irgendeine
Arbeit ausführen, auch Handarbeit, nicht sosehr deswegen, weil sie den Geist
für eine Zeit durch die Freude, die sie bereitet, festhält, sondern weil sie die
Freude für die geistlichen Übungen bewahrt und nährt. Bei der Arbeit soll sich
der Geist eine Zeitlang erholen, aber nicht schlaff werden. Daher soll er sich
leicht frei machen, sobald es ihm gut scheint, zu sich zurückzukehren, ohne Widerspruch
des Willens, der an der Arbeit hängt, ohne Befleckung durch die erfahrene
Freude oder durch die Bilder der Erinnerung.
85. Denn der Mann ist nicht wegen
der Frau geschaffen, sondern die Frau wegen des Mannes (1 Kor 11,9). Geistliche
Übungen sind nicht wegen der körperlichen da, sondern die körperlichen wegen
der geistlichen. Wie dem Mann nach seiner Erschaffung deswegen eine Hilfe
gegeben und bereitet wurde, die ihm ähnlich (Gen 2,18) und aus seinem Wesen genommen
ist, so sind auch die körperlichen Übungen notwendig als Hilfe für den
geistlichen Eifer. Dennoch scheinen nicht alle körperlichen Übungen in gleicher
Weisediesem Ziel zu entsprechen, sondern nur die, die eine größere Ähnlichkeit und
engere Verwandtschaft mit den geistlichen Übungen zu haben scheinen. So dient
der geistlichen Erbauung die Betrachtung dessen, was geschrieben werden soll,
oder zu schreiben, was gelesen werden soll.
86. Denn wie die Übungen und
Arbeiten unter freiem Himmel die Sinne zerstreuen, so erschöpfen sie oft auch
den Geist, es sei denn, dass schwerere Arbeiten auf dem Felde auch den Körper
sehr ermüden und auch eine Zerknirschung und Demütigung des Herzens bewirken.
Diese Arbeiten lassen oft durch ihre Plage und Mühe die Bereitschaft zu einer
größeren Hingabe entstehen, was bekanntlich auch häufig bei der Mühe des
Fastens, der Nachtwachen und aller Übungen der Fall ist, die den Körper hart
mitnehmen.
Aszese und Mystik der Arbeit
87. Ein ernster und kluger Geist
macht sich für jede Arbeit bereit und lässt sich in ihr nicht zerstreuen,
sondern wird durch sie mehr in sich gesammelt. Er hat nicht sosehr das vor
Augen, was er tut, als das, was er durch sein Tun beabsichtigt, und er richtet
seine Aufmerksamkeit auf das Ziel aller Vollkommenheit (Ps 118,96). Je
ehrlicher er sich darum bemüht, umso eifriger und treuer führt er die
Handarbeit aus und unterwirft diesem Ziel alle Kräfte seines Körpers. Die Sinne
werden nämlich durch die Zucht des guten Willens auf ein einziges Ziel
ausgerichtet, und es steht ihnen nicht frei, von der Last der Arbeit
abzuschweifen. Unterworfen und gedemütigt, um dem Geist zu dienen, lernen sie,
sich ihm gleich zu formen, sowohl in der Teilnahme an der Arbeit, als auch in
der Erwartung des Trostes.
Zurück zur Ordnung der Natur
88. Wenn nämlich die Natur, die
durch die Sünde aus der Ordnung geraten und von der Geradheit ihrer
ursprünglichen Schöpfung abgewichen ist, sich wieder Gott zugewendet hat, gewinnt
sie bald nach dem Maß ihrer Furcht und Liebe, die sie zu Gott hat, alles wieder
zurück, was sie, von Gott abgewendet, verloren hat. Und sobald der Geist
beginnt, sich nach dem Bild seines Schöpfers zu erneuern, blüht auch das Fleisch
wieder auf (Ps 27,7) und beginnt, sich aus eigenem Willen dem erneuerten Geist
gleich zu gestalten. Denn sogar gegen seinen Sinn beginnt es, Freude zu finden
an all dem, was den Geist erfreut. Wegen des vielfachen Elends, das ihm als
Strafe für die Sünde zuteilwurde, dürstet es überdies vielfach nach Gott (Ps
41,2), ja bemüht sich nicht selten, dem Geist, der es leitet, vorauszueilen.
89. Denn die Genüsse verlieren
wir nicht, wir übertragen sie nur vom Körper auf die Seele, von den Sinnen auf
das Gewissen. Kleienbrot und einfaches Wasser, Kohl oder schlichtes Gemüse sind
keineswegs eine köstliche Sache. Es ist aber sehr köstlich, in der Liebe
Christi und in der Sehnsucht nach der inneren Freude einen gut disziplinierten
Magen mit geringem Aufwand mit solcher Kost zufrieden stellen zu können. Wie
viele Tausende von Armen befriedigen mit diesen oder ähnlichen Mitteln genüsslich
ihre Natur. Denn es wäre sehr leicht und erfreulich, mit der Würze der
göttlichen Liebe nach der Natur zu leben, wenn unser Wahnsinn es uns
gestattete. Sind wir von ihm geheilt, findet unsere Natur sofort am Natürlichen
Gefallen. Dasselbe gilt auch von der Arbeit. Ein Bauer hat starke Muskeln und
kräftige Arme. Die Beschäftigung bewirkt das. Lass ihn untätig sein, so
verweichlicht er. Der Wille führt zur Gewohnheit, die Gewohnheit zur Übung, die
Übung verschafft die Kräfte für jede Arbeit.
III. Die Vollendung des sinnenverhafteten Menschen:
Die Gewohnheit des Guten, verwandelt in Freude
Tod den Vergnügungen
90. Aber kehren wir zum
Gegenstand zurück! Das soll auf jeden Fall sowohl die Arbeit als auch die
Freizeit bewirken, dass wir niemals müßig sind. Darum soll unsere Tätigkeit
immer darauf gerichtet sein, dass in uns vollkommen verwirklicht wird, was der Apostel
den Sinnesmenschen und Anfängern sagt: "Ich rede nach menschlicher Weise
um der Schwachheit eures Fleisches willen. Denn wie ihr eure Glieder in den Dienst
der Unreinheit und Gottlosigkeit gestellt habt, zur Gottlosigkeit, so stellt
nun eure Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zur Heiligung" (Röm
6,19).
91. Hören möge das der
sinnenverhaftete Mensch, der bis jetzt noch ein willfähriger Sklave seines
Körpers war. Dieser, welcher schon beginnt, den Körper dem Geist zu unterwerfen
und sich für die Wahrnehmung des Göttlichen zu bereiten, soll sich umgürten, um
das Joch der hässlichen Knechtschaft und die beherrschende Gewohnheit seines
Fleisches abzuschütteln.
92. Er soll sich Zwang antun
gegen den Zwang, Gewohnheit annehmen gegen die Gewohnheit, ein Verlangen in
sich erwecken gegen das Verlangen, bis er verdient, den vollen Genuss zu
erhalten gegen den Genuss. Nach dem Rat des Apostels soll es ihm wenigstens so
viel Freude machen, die Genüsse der Welt und des Fleisches zu entbehren, wie es
ihm früher Freude machte, sie zu haben. Es soll ihn so viel erfreuen, mit den
Gliedern seines Körpers der Gerechtigkeit zu dienen zur Heiligung, wie es ihn
früher erfreute, der Unreinheit und Gottlosigkeit zu dienen zur Gottlosigkeit
(Röm 6,19).
93. Das ist nämlich die
Vollkommenheit des sinnenverhafteten Menschen in dem Zustand, der ihm eigen
ist, oder des Novizen, der ein Anfänger ist. Wenn er aber diesen
sinnenverhafteten oder menschlichen (Röm 6,19) Zustand vollendet hat, wenn er
nicht zurückschaut (Lk 9,62), wenn er in Treue sich nach dem ausstreckt, was
vor ihm liegt (Phil 3,13), wird er bald zu jenem göttlichen Zustand gelangen,
dass er beginnt zu ergreifen, wie er ergriffen ist (Phil 3,13), und zu
erkennen, wie er erkannt ist (1 Kor 13,12). Dieses Werk wird aber nicht in
einem einzigen Augenblick der Bekehrung vollbracht. Es ist nicht Sache eines
einzigen Tages, sondern verlangt viel Zeit, viel Mühe und viel Schweiß,
entsprechend der Gnade Gottes, der sich erbarmt, und dem Eifer des Menschen,
der will und läuft (Röm 9,16).
3. Kapitel: Die Übungen des Einsiedlers
I. Der Rahmen: Die Zelle und ihre Wächter
Notwendigkeit einer Regel
94. Die Werkstatt all dieser
Güter ist die Zelle und das beständige Verweilen in ihr. Wer in ihr mit seiner
Armut gut zurechtkommt, ist reich.26 Wer guten Willen hat, hat alles bei sich,
was er für ein gutes Leben braucht. Dennoch ist es nicht immer förderlich, dem
guten Willen zu trauen. Er muss gezügelt und gelenkt werden, vor allem beim
Anfänger. Die Regel des heiligen Gehorsams soll den guten Willen lenken, dieser
aber den Körper. Er soll ihn lehren, an einem Ort zu verharren, die Zelle zu
ertragen und bei sich zu verweilen. Dies ist bei' dem, der Fortschritte macht,
Anfang einer guten Einstellung und sicheres Zeichen einer guten Hoffnung.
Beständigkeit
95. Es ist nämlich unmöglich, dass
ein Mensch in Treue seinen Geist einem einzigen Gegenstand zuwendet, wenn er
nicht vorher seinem Körper die Beständigkeit an einem bestimmten Ort gegeben
hat. Wer nämlich der Krankheit des Geistes entfliehen möchte, indem er von Ort
zu Ort wandert, gleicht dem, der dem Schatten seines Körpers zu entfliehen
sucht. Er flieht vor sich selbst, sich selbst aber nimmt er mit. Er verändert
den Ort, nicht aber den Geist. Er findet sich überall als denselben, außer dass
die Beweglichkeit selbst seinen Zustand verschlechtert, wie man gewöhnlich
einen Kranken verletzt, wenn man ihn herumträgt und schüttelt.
96. Er soll wissen, dass er krank
ist, und er soll darum meiden, was seine Krankheit verursacht. Wenn die Ruhe
nicht unterbrochen wird, werden die wiederholt angewandten Heilmittel bald
einen Fortschritt bringen. Der Geist, der von seinen Entfremdungen und
Unfreiheiten geheilt ist, wird in Gott ganz er selbst werden. Eine nicht
geringe Pflege verlangt die Natur, die nicht befleckt, sondern angesteckt ist.
Er soll darum ruhig in seiner Heilstätte bleiben - so pflegen nämlich die Ärzte
den Ort zu nennen, wo Krankheiten geheilt werden – und soll das angewandte
Mittel weiterhin einnehmen, bis zum Erweis der Gesundheit.
97. Deine Heilstätte, o kranker
und schwacher Mann, ist deine Zelle. Das Heilmittel, mit dem du schon behandelt
wurdest, ist der Gehorsam, der wahre Gehorsam. Du sollst wissen, dass häufiger
Wechsel der Heilmittel schadet, die Natur stört und den Kranken quält. Wer ein
Ziel verfolgt, erreicht das Ziel schnell, wenn er einen einzigen, nämlich den richtigen
Weg einhält, und setzt schnell dem Marsch und der Mühe ein Ende. Wenn er aber
viele Wege versucht, irrt er herum und setzt der Mühe niemals ein Ende, weil
der Irrtum kein Ende hat. Suche also keine Änderung und nimm nicht eine Arznei
an Stelle einer anderen, sondern gebrauche das Mittel des heilenden Gehorsams,
bis du die vollkommene Gesundheit erlangt hast. Du sollst den Gehorsam nicht
undankbar verwerfen, wenn du geheilt bist; gebrauche ihn auch in Zukunft,
freilich auf eine andere Weise.
Notwendigkeit eines
geistlichen Führers
98. Wenn du also bald gesund
werden willst, dann sollst du es nicht wagen, irgendetwas, so geringfügig es
auch sein mag, aus Eigenem, ohne Befragen des Arztes zu unternehmen. Wenn du
von ihm die Hilfe eines Arztes erwartest, sollst du dich nicht schämen, vor ihm
jederzeit dein Geschwür zu entblößen. Schäme dich, aber dennoch enthülle alles
und verbirg nichts.
99. Manche erzählen bei ihrem
Bekenntnis die Geschichte ihrer Sünden wie eine Fabel. Sie zählen die
Krankheiten ihrer Seele ohne Beschämung auf, fast ohne Reue und ohne das Gefühl
des Schmerzes. Denn schnell bricht in Tränen aus und eröffnet sich unter
Seufzern, wer Schmerz empfindet. Wenn aber zu einer bösen Krankheit noch
hoffnungslose Gefühlslosigkeit hinzukommt, weil der Kranke keinen Schmerz empfindet,
dann entfernt er sich umso mehr von der Gesundheit, je näher er ihr zu sein
scheint.
100. Wenn aber der Arzt zu milde
ist, so dass er alles gleichsam mit zu schonenden Salben und Pflastern heilen
will, dann handle du in deinem Interesse und, begierig nach einem stärkeren
Heilmittel und nach einer schnelleren Genesung, verlange nach dem Messer,
fordere das Brenneisen.
Die Wächter der Seele
101. Der Arzt steht dir immer zur
Verfügung, er ist bereit. Damit deine Einsamkeit dich nicht erschreckt und
damit du sicherer in deiner Zelle wohnen kannst, sind dir drei Wächter zugeteilt:
Gott, das Gewissen und der geistliche Vater. Gott schuldest du Frömmigkeit. Ihm
sollst du dich ganz zur Verfügung stellen. Deinem Gewissen schuldest du Ehre.
Vor ihm sollst du sich schämen zu sündigen. Dem geistlichen Vater schuldest du
den Gehorsam der Liebe. Zu ihm sollst du in allen Fragen eilen.
102. Um dir überdies einen
Gefallen zu erweisen, werde ich für dich einen vierten Wächter hinzufügen.
Solange du ein Kind bist, und bis du vollkommen lernst, an die göttliche Gegenwart
zu denken, werde ich dir einen Erzieher besorgen.
103. Wähle dir selbst nach meinem
Rat einen Menschen, dessen beispielhaftes Leben so in deinem Herzen wohnt, den du
so verehrst, dass du dich jedes Mal, wenn du an ihn denkst, in Ehrfurcht vor
ihm erhebst, dich selbst ordnest und sammelst. So als ob er anwesend wäre, möge
der Gedanke an ihn in der Zuneigung gegenseitiger Liebe alles in dir bessern,
was einer Besserung bedarf, ohne dass deine Einsamkeit einen Schaden an ihrer
Abgeschiedenheit nimmt. Er möge bei dir sein und dir beistehen, wann immer du
willst. Er soll dir oft begegnen, auch wenn du nicht willst. Der Gedanke an
seine heilige Strenge möge dir seine Vorwürfe vergegenwärtigen. Der Gedanke an
seine Güte und Milde möge dich trösten. Die Reinheit seines heiligen Lebens
soll dir ein Vorbild sein. Denn wenn du dir vorstellst, dass auch alle deine
Gedanken von ihm gesehen werden, wirst du dich genötigt fühlen, dich zu bessern,
als ob er dich sehen und tadeln würde.
Wachsamkeit
104. So solltest du nach dem
Gebot des Apostels sorgsam dich selbst hüten (1 Tim 5,22). Und um dich selbst
immer zu sehen, wende die Augen von allen Dingen ab. Ein hervorragendes Werkzeug
würde das Auge des Körpers sein, wenn es, wie das übrige, so auch sich selbst
sehen könnte. Aber wenn das auch dem inneren Auge zugewiesen ist, so kann
dieses doch, wenn es nach dem Beispiel des äußeren Auges sich selbst
vernachlässigt und sich den fremden Dingen widmet, nicht zu sich zurückkehren,
auch wenn es gerne möchte. Beschäftige dich mit dir selbst! Du bist für dich
selbst genügend Gegenstand der Sorge. Beseitige auch von den äußeren Augen, was
du dir abgewöhnt hast zu sehen; von den inneren Augen, was du aufgehört hast zu
lieben! Denn nichts lebt so schnell wieder auf wie die Liebe, vor allem noch in
den zarten und anfangenden Seelen.
II. Geistliche Übungen
105. Wage es auch manchmal, weise
zu sein und nach den besseren Gaben zu streben (1 Kor 12,31). Du selbst sollst dir
ein Gleichnis des Hausbaues sein.
Die beiden Zellen
Das eine ist deine äußere Zelle,
das andere die innere. Die äußere ist das Haus, in dem deine Seele mit deinem
Körper wohnt; die innere ist dein Gewissen, das Gott, der innerlicher als dein
Innerstes ist,27 gemeinsam mit deinem Geist bewohnen soll. Die Tür der äußeren
Klausur ist ein Zeichen für die Tür der inneren Einschließung. Wie die Sinne
des Körpers durch die äußere Klausur nicht nach außen schweifen dürfen, so
sollen die inneren Sinne immer auf das Innere der Seele gerichtet sein.
106. Liebe also deine innere
Zelle, liebe auch die äußere und widme einer jeden die gebührende Pflege. Die
äußere soll dich schützen, ohne dich zu verbergen. Du sollst nicht geheimer
sündigen, sondern sicherer leben können. Du weißt nämlich nicht, o Bewohner
ohne Erfahrung, was du deiner Zelle verdankst, wenn du nicht bedenkst, wie du
in ihr nicht nur von deinen Lastern geheilt wirst, sondern auch keine
Möglichkeiten hast, mit anderen zu streiten. Du weißt auch nicht, welche Ehre
du deinem Gewissen erweisen musst, wenn du in ihm noch nicht die Gnade des Heiligen
Geistes und die Süße der inneren Freude erfahren hast.
Gewissenserforschung
107. Erweise also jeder der
beiden Zellen die ihnen zukommende Ehre und sichere dir in ihnen deinen
Vorrang. Lerne in ihr, dir nach den Gesetzender gemeinsamen Regelvorzustehen, das
Leben zu ordnen, die Gewohnheiten zurechtzulegen, dich selbst zu beurteilen,
dich bei dir anzuklagen, oft auch zu verurteilen und nicht ungestraft
freizulassen. Die Gerechtigkeit soll zu Gericht sitzen, das Gewissen soll
schuldig erscheinen und sich selbst anklagen. Niemand liebt dich mehr als du. Niemand
wird dich gerechter beurteilen.
108. Am Morgen fordere von dir
selbst Rechenschaft über die vergangene Nacht und gib dir eine Regel für den
kommenden Tag. Am Abend verlange einen Bericht über den vergangenen Tag und
triff eine Verfügung für die anbrechende Nacht. So gebunden, wirst du niemals
Zeit haben, ausgelassen zu sein.
Der Gottesdienst
109. Verteile nach der Vorschrift
der gemeinsamen Regel die entsprechenden Übungen auf die einzelnen Stunden. In der
Stunde, welche dem Geistlichen gewidmet ist, verrichte geistliche Übungen; in
der Stunde der körperlichen Arbeit, verrichte körperliche Arbeit. In diesen
Übungen soll der Geist jede Schuld vor Gott, der Körper jede Schuld vor dem
Geist so einlösen, dass eine Unterlassung, eine Nachlässigkeit, eine Unvollkommenheit
je nach Art, Ort und Zeit nicht ungestraft und ungesühnt bleibe.
110. Im übrigen soll man,
abgesehen von jenen Stunden, von denen der Prophet mit diesen Worten spricht:
"Siebenmal am Tag singe ich dir Lob" (Ps 118,164), vor allem das Opfer
des Lobes am Morgen, am Abend und zur Mitternacht mit Eifer darbringen. Denn
nicht umsonst sagt der Prophet: "Am Morgen werde ich vor dir stehen und
sehen" (Ps 5,5). Denn da sind wir noch frei von äußeren Sorgen.
Ferner: "Wie ein Rauchopfer lass
mein Gebet vor dein Angesicht kommen. Meiner Hände Erhebung sei ein
Abendopfer" (Ps 140,2). Dann haben wir nämlich die Beschwerden dieser Art
gleichsam schon verdaut.
111. Auch in unseren Nachtwachen,
zu denen wir uns um Mitternacht erheben, um den Namen des Herrn zu preisen (Ps
118,62), hat er dieselbe Ordnung des Lobpreises angesetzt. Er sagt: "Am
Tage meiner Not habe ich Gott gesucht, in der Nacht meine Hände vor ihm - oder:
gegen ihn - ausgestreckt, und ich wurde nicht enttäuscht" (Ps 76,3).
Und das Folgende.
112. Denn vor allem zu diesen
Stunden müssen wir uns vor Gott stellen, gleichsam von Angesicht zu Angesicht
(Gen 32,20), uns im Licht seines Angesichtes betrachten (Ps 88,16), Trübsal
und' Schmerz bei uns selbst finden und den Namen des Herrn anrufen (Ps
114,3.4), unseren Geist erregen, bis er sich erwärmt, unablässig auf die
Erinnerung an die Fülle der Süßigkeit des Herrn (Ps 144,7) zurückkommen, bis er
selbst in unserem Herzen als süß erfahren wird.
113. Dann müssen wir vor allem
das Wort des Apostels verwirklichen: "Ich will in der Kirche lieber fünf
Worte mit meinem Verständnis sprechen als zehntausend ohne Einsicht" (1
Kor 14,19). Und jenes Wort: "Ich will mit dem Geist lobsingen, ich will
auch mit dem Verstand lobsingen. Ich will mit dem Geiste beten, ich will auch
mit dem Verstand beten" (1 Kor 14,15). Dann sind nämlich Früchte zu
sammeln für den Verstand oder für den Geist, so dass wir uns hierauf entweder in
der Fülle des göttlichen Segens zur Ruhe der Nacht begeben, oder, wenn wir uns
zum Lob Gottes erheben, der Grundzug all unseres Tuns von diesem Lob Gottes
bestimmt und belebt wird.
114. Darum ist es nicht
förderlich, in der Vorbereitung der Nachtwachen den Verstand mit einer Vielzahl
von Psalmen zu überhäufen und den Geist zu erschöpfen oder auszulöschen. Solange
der Geist nüchtern ist, soll er aber zur Andacht gestimmt und auf seinem
eigenen Weg zum Herrn geleitet werden, bis das Herz sich weitet (Ps 118,32) und
der Geist bis zum Ende des Gottesdienstes zu laufen beginnt. Dann wird er den
Schwung seines Eifers behalten, wenn er nicht durch große Nachlässigkeit
unterbrochen wird oder durch freiwillige Schwachheit verlorengeht.
Die geistliche Kommunion
115. Jeder aber, der den Sinn
Christi (1 Kor 2,16) hat, weiß auch, wie viel es für die christliche
Frömmigkeit bedeutet, wie sehr es sich für den Diener Gottes, für den Diener der
Erlösung Christi geziemt und wie nützlich es für ihn ist, wenigstens in einer
Stunde des Tages die Wohltaten seines Leidens und seiner Erlösung aufmerksamer
zu betrachten, um sie in seinem Gewissen süß zu genießen und treu im Gedächtnis
zu bewahren. Das heißt geistlich den Leib des Herrn essen und sein Blut
trinken, zu seinem Gedächtnis. Das hat er allen, die an ihn glauben, mit diesen
Worten aufgetragen: "Tut dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22,19; 1 Kor
11,24).
116. Auch abgesehen von der Sünde
des Ungehorsams, ist es allen klar, wie gottlos es ist, wenn ein Mensch solcher
Güte Gottes nicht gedenkt, da es doch schon ein Unrecht ist, einen Freund zu
vergessen, der doch nur ein Mensch ist, wenn er uns bei seiner Abreise mit
irgendeinem Zeichen sein Gedächtnis empfohlen hat.
117. Das Geheimnis dieses
heiligen und ehrwürdigen Gedächtnisses nach seiner Art, an seinem Ort und zu
seiner Zeit zu feiern, ist freilich nur wenigen Menschen erlaubt, denen nämlich
dieser Dienst anvertraut wurde. Die Wirklichkeit dieses Geheimnisses aber
können alle zu jeder Zeit, an jedem Ort der Herrschaft Gottes (Ps 102,22), in
der Weise, wie es überliefert worden ist (1 Kor 11,23), das heißt in der Haltung
der geschuldeten Liebe, feiern, erfahren und zu ihrem Heile aufnehmen, alle,
denen gesagt wird: "Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche
Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum
wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis
in sein wunderbares Licht gerufen hat" (1 Petr 2,9).
118. Denn wie der Würdige das
Sakrament zum Leben empfängt, so kann es der Unwürdige zu seinem Tod und
Gericht (1 Kor 19,29) entweihen. Die Wirklichkeit des Sakramentes empfängt aber
nur einer, der würdig und empfänglich ist. Denn das Sakrament ist für den, der
es ohne die Wirklichkeit des Sakramentes empfängt, Tod. Die Wirklichkeit des Sakramentes
aber ist für den, der sie empfängt, auch außerhalb des Sakramentes, ewiges
Leben.
119. Wenn du aber willst, wenn du
wahrhaft willst, steht dir diese Wirklichkeit an allen Stunden des Tages und
der Nacht in deiner Zelle zur Verfügung: Sooft du beim Gedächtnis dessen, der
für dich gestorben ist (1 Petr 2,21), dich innerlich von Glauben und Liebe für
seine Tat erfüllen lässt, isst du seinen Leib und trinkst du sein Blut. Solange
du durch die Liebe in ihm bleibst, er aber durch das Wirken seiner Heiligkeit,
und Gerechtigkeit in dir bleibt, wirst du zu seinem Leib und zu seinen Gliedern
gerechnet.
Geistliche Lesung
120. Ferner muss man sich auch zu
bestimmten Stunden einer bestimmten Lesung widmen. Eine zufällige und
wechselnde Lesung, die man gleichsam zufällig findet, erbaut nicht, sondern
macht die Seele unstet. Leichthin begonnen, entschwindet sie auch leicht aus
dem Gedächtnis. Man muss bei bestimmten Autoren verweilen, die Seele muss sich
an sie gewöhnen.
121. In dem Geist, in dem die
Heilige Schrift verfasst ist, in diesem Geist will sie auch gelesen werden. Im selben
Geist muss sie auch verstanden werden. Niemals wirst du in die Gedanken des
Paulus eindringen, wenn du nicht durch die Übung der guten Aufmerksamkeit bei
der Lesung und durch den Eifer einer beständigen Betrachtung seinen Geist in
dich aufnimmst. Du wirst niemals David verstehen, wenn du nicht durch eigene
Erfahrung die in den Psalmen ausgedrückten Haltungen annimmst. So auch bei den
übrigen. In der ganzen Schrift ist das Studium so weit von der Lesung entfernt,
wie Freundschaft von der Aufnahme eines Gastes, brüderliche Zuneigung von einem
zufälligen Gruß.
122. Aber von der täglichen
Lesung muss auch täglich etwas dem Magen des Gedächtnisses anvertraut werden,
damit es besser verdaut wird und, zurückgerufen, häufiger wiedergekäut wird:
ein Gedanke. der unserer Berufung entspricht, unserem Vorhaben nützt und den
Geist fesselt, damit er nicht Lust hat, an etwas zu denken, was uns fremd ist.
123. Aus dieser beständigen
Lesung sollen wir die liebende Zuneigung gewinnen und unser Gebet gestalten,
das die Lesung unterbrechen soll. Diese Unterbrechungen sollen aber die Lesung
nicht sosehr behindern, als vielmehr den Geist sofort reinigen, damit er die
Lesung verstehen kann.
124. Die Lesung dient nämlich der
Absicht, in der man liest. Wenn der Leser in der Lesung wahrhaft Gott sucht, dann
hilft ihm alles (Röm 8,28), was er liest, zu diesem Ziel, nimmt die Gedanken
des Lesers gefangen und unterwirft jedes Verständnis des Textes dem Gehorsam
Christi (2 Kor 10,5). Wenn das Denken des Lesers aber zu etwas anderem abweicht,
dann zieht es das alles nach sich. Denn er findet in den Schriften nichts, was
so heilig und so fromm ist, dass er es nicht entweder durch eitlen Ruhm, durch
verkehrtes Denken oder durch falsches Verständnis für seine Bosheit oder Eitelkeit
verwenden könnte. Darum muss bei der Lesung aller Schriften die Furcht Gottes
der Anfang der Weisheit sein (Ps 90,10), damit in ihr vor allem die Absicht des
Lesers gefestigt werde und aus ihr ein geordnetes Verständnis oder Erkennen des
Textes hervorgehe.
III. Körperliche Übungen
125. Von den geistlichen Übungen
soll man aber niemals lange oder gänzlich zu körperlichen Übungen übergehen.
Der Geist soll sich daran gewöhnen, leicht zu jenen zurückzukehren, und wenn er
sich diesen widmet, soll er doch immer gerne bei jenen verweilen. Wie schon
oben gesagt worden ist, ist nicht der
Mann wegen der Frau, sondern die Frau wegen des Mannes da, auch sind nicht die
geistlichen Dinge wegen der fleischlichen, sondern die fleischlichen wegen der
geistlichen da. Körperlich nennen wir nun aber die Übungen, die durch Handarbeit körperlich ausgeführt
werden.
Abtötung des Körpers
126. Aber es gibt auch andere
Übungen des Körpers, in denen sich der Körper abmühen muss, wie Nachtwachen,
Fasten und anderes dieser Art. Diese behindern die geistlichen Übungen nicht,
sondern unterstützen sie, wenn sie mit Vernunft und Maßausgeführt werden. Wenn
sie jemand aber maßlos betreibt, sodass sie durch die Erschöpfung des Geistes oder
durch das Ermatten des Körpers die geistlichen Übungen behindern, dann hat ein
solcher seinem Körper die Wirkung eines guten Werkes genommen, seinem Geist die
liebende Hingabe, seinem Nächsten das Beispiel und Gott die Ehre. Er ist ein
Frevler und für all das vor Gott verantwortlich.
127. Damit soll nach der Meinung
des Apostels (Röm 6,19) nicht gesagt sein, dass nicht auch das menschlich
scheine, dass es sich nicht gezieme, nicht sein dürfe und nicht richtig sei, dass
der Kopf manchmal im Dienste Gottes schmerzt, der früher oft bis zum Schmerz in
der Eitelkeit der Welt arbeitete; dass der Magen hungert bis zum Knurren, der
einst oft angefüllt war bis zum Erbrechen. Doch ein Maß muss in allen Dingen
eingehalten werden. Der Körper muss manchmal gezüchtigt, er soll aber nicht
aufgerieben werden. Denn die körperliche Tätigkeit hat zwar wenig Nutzen, ist
aber dennoch nützlich (1 Tim 4,8).
128. Deswegen soll auch in einem
geringen Maß für unser Fleisch Sorge getragen werden (Röm 13,14), das heißt:
nicht in Begierlichkeit. Diese Sorge soll nüchtern sein, mit einer gewissen
geistlichen Disziplin, sodass weder in der Handlungsweise, noch in der Art,
noch im Umfang dieser Sorge etwas erscheint, was sich für einen Diener Gottes
nicht ziemt.
129. Denn den Gliedern unseres
Körpers, die unehrenhaft sind, müssen wir größere Ehre erweisen. Die
ehrenhaften aber haben das nicht nötig (1 Kor 12,23-24). Aber nicht nur das, unser
ganzes Leben, mag es auch vor den Menschen verborgen sein, müssen wir vor Gott
heilig und ehrenhaft erscheinen lassen. Unseren ganzen Lebenswandel müssen wir
so führen, dass er für die heiligen Engel sehenswert und erfreulich ist, mag er
auch zwischen den Mauern unseres Hauses eingeschlossen sein.
130. Alles soll bei euch mit Anstand
geschehen, sagt der Apostel (1 Kor 14,40). Der Anstand ist vor Gott angenehm und
den heiligen Engeln lieb. Deswegen befiehlt auch der Apostel, dass die Frauen
wegen der Engel einen Schleier tragen (1 Kor 11,10). Diese sind ohne Zweifel
immer in euren Zellen anwesend, sie wachen über euch, freuen sich über euren
Eifer und sind eure Mitarbeiter. Es gefällt ihnen, wenn bei euch alles mit
Anstand geschieht, auch wenn es kein Mensch sieht.
Die Nahrung
131. Wenn ihr also esst oder
trinkt oder irgendetwas anderes tut, tut alles im Namen des Herrn (Kol 3,17),
fromm, heilig und gewissenhaft. Wenn du isst, soll deine Mäßigkeit deine an
sich schon genügend kärgliche Tafel schmücken. Wenn du isst, sollst du
keineswegs zur Gänze mit dem Essen beschäftigt sein, sondern, während dein
Körper seine Stärkung einnimmt, soll der Geist seine Stärkung nicht völlig
vernachlässigen, sondern einen Gedanken von der Güte des Herrn oder ein Wort
aus der Heiligen Schrift, das ihn nähren kann, durch Betrachtung oder
wenigstens durch einfache Erinnerung in seinem Innern wiederkäuen und verdauen.
132. Aber auch das körperliche
Bedürfnis selbst soll nicht in weltlicher und fleischlicher Weise befriedigt
werden, sondern wie es sich für einen Mönch geziemt, wie es sich für einen
Diener Gottes schickt. Denn auch was die Gesundheit des Körpers betrifft, wird
eine Speise umso leichter und heilsamer verdaut, je anständiger und geordneter
sie eingenommen wird.
133. Achten soll man also auf die
Weise und die Zeit des Essens, auf die Art und Menge der Speisen. Meiden soll
man überflüssige und den Geschmack verändernde Gewürze. Beachten soll man die
Weise, um nicht beim Essen seine Seele über jede Speise auszugießen (Sir 37,32
Vg); die Zeit, um nicht vor der Stunde zu essen; die Art, um nur dieselben Speisen
wie die Gemeinschaft der Brüder zu genießen, ausgenommen der Fall einer
offensichtlichen Krankheit.
134. Von den Gewürzen aber möge so
viel genügen – ich beschwöre euch - dass unsere Speisen genießbar werden, nicht
auch begehrenswert oder geschmackvoll. Es genügt nämlich für die Begierlichkeit
ihre eigene Bosheit (Mt 6,34). Diese kann kaum oder auf keine Weise das Ziel
erreichen, den Hunger zu stillen, ohne auf dem Weg eines gewissen Genusses. Wenn
sie darum beginnt, Reizmittel von denen zu empfangen, die ihren Verlockungen
einen beständigen Kampf angesagt haben, dann steht es zwei zu eins, und die
Enthaltsamkeit ist in Gefahr.
Der Schlaf
135. Wie wir von der Speise
gesprochen haben, müssen wir nun auch vom Schlaf sprechen. Hüte dich, soweit du
kannst, Diener Gottes, dass du einmal ganz schläfst, dass dein Schlaf nicht die
Ruhe eines müden, sondern das Grab eines erstickten Körpers sei, nicht die
Erneuerung, sondern das Auslöschen deines Geistes (1 Thess 5,19). Der Schlaf
ist eine verdächtige Sache und zum großen Teil dem Rausch ähnlich. Abgesehen von
den Lastern, denen im Schlaf niemand widerspricht, da gemeinsam mit dem Körper
auch die Vernunft schläft, was die Verpflichtung zum beständigen Fortschritt
betrifft, so geht keine Zeit sosehr für unser Leben verloren, als die, die dem
Schlaf gewidmet ist.
136. Wenn du schlafen gehst,
sollst du darum immer irgendetwas mit dir in deinem Gedächtnis oder in deinem
Denken mitnehmen, einen Gedanken, bei dem du friedlich einschlafen kannst, der
dich auch manchmal im Traum erfreuen mag. Er möge dir auch in der Nachtwache
wieder begegnen und dich in den Zustand der gestrigen Aufmerksamkeit zurückversetzen.
So wird für dich die Nacht wie der Tag erleuchtet, und die Nacht wird deine
Erleuchtung sein in deiner Wonne (Ps 138,11). Du wirst ruhig einschlafen, in
Frieden ruhen und leicht erwachen. Wenn du dich erhebst, wirst du frisch und
munter zu dem zurückkehren, was du nicht ganz verlassen hast.
137. Denn einer nüchternen Speise
und einem nüchternen Sinn folgt ein nüchterner Schlaf. Jener fleischliche,
schwer lastende Schlaf aber, jener Schlaf der Lethe,30 des Vergessens, wie er
genannt wird, muss dem Diener Gottes ein Abscheu sein. Von dem erstgenannten
aber kann man nach einer entsprechenden Ruhe die Sinne des Körpers und des
Geistes leicht aufrufen und - gleichsam wie der Familienvater die Sklaven des
Hauses - zu den für den Geist notwendigen Arbeiten aufwecken und
zurückschicken. Ein solcher Schlaf ist zu seiner Zeit und im entsprechenden Maß
nicht zu verachten.
Abschluss der Anleitung für
einen Novizen
138. So muss sich ein kluger und
Gott geweihter Geist in seiner Zelle und in seinem Gewissen verhalten wie ein
kluger Familienvater in seinem Haus. Er soll nicht, wie Salomo sagt, in seinem Haus ein zänkisches Weib haben (Spr
21,9; 25,24),nämlich sein Fleisch, sondern eine Frau, die zur Nüchternheit erzogen
und an sie gewöhnt ist, bereit zu Gehorsam und Arbeit, überall geübt, sowohl zu
hungern, als auch satt zu sein; sowohl Überfluss zu haben, als auch Mangel zu
leiden (Phil 4,12). Er soll die äußeren Sinne nicht als Herren, sondern als
Diener gebrauchen, die inneren seien nüchtern und wirksam. Sein Haus oder die
Familie seiner Gedanken soll er überhaupt so ordnen und in Zucht halten, dass
er zu dem einen sagen kann:. "Geh!" und er geht; zu dem andern: "Komm!"
und er kommt; und zu seinem Sklaven, seinem Körper: "Tu das!" und er
tut es ohne Widerspruch (Mt 8,9; Lk 7,8).
139. Wer sich selbst in seinem
Gewissen so leitet und ordnet, darf ohne Zögern in seiner Zelle sich selber
anvertraut und überlassen werden. Aber das ist schon Sache der Vollkommenen oder
der vollkommen Voranschreitenden. Wir haben es deswegen den Anfängern und
Novizen vorgelegt, dass sie wissen, was ihnen fehlt (Ps 38,5) und worauf sie
die Bemühung ihres Eifers richten sollen.
4. Kapitel: Probleme des
Einsiedlerlebens
I. Die Wahl des Berufes
140. Man muss aber wissen: wenn
wir über das fleischliche oder sinnliche Fühlen, über das vernünftige Wissen
oder über die geistliche Weisheit sprechen, beschreiben wir einen und denselben
Menschen, in dem man entsprechend seinem Fortschritt, seinem Erfolg und seiner
liebenden Aufmerksamkeit alles zu verschiedenen Zeiten finden kann. Diese drei
Arten von Menschen führen, jede nach den Eigenheiten dieser Stufen, in den
Zellen den Kampf des geistlichen Lebens.
Erste Richtlinie: Sorgfalt
141. Die Würde der Zelle, die
Abgeschiedenheit der heiligen Einsamkeit und der Titel eines Einsiedlers
scheint nur den Vollkommenen zuzukommen, für die eine feste Speise bestimmt
ist, wie der Apostel sagt, deren Sinne durch Gewöhnung geübt sind, Gut und Böse
zu unterscheiden (Hebr 5,14). In der Zelle scheint zwar auch der
Verstandesmäßige, der dem Weisen nahekommt, irgendwie tragbar zu sein. Sicher aber
ist man der Meinung, dass der sinnenverhaftete Mensch, der nicht erfasst, was
Gottes ist (1 Kor 2,14), völlig ausgeschlossen werden muss.
142. Aber der Apostel Petrus
widerspricht uns, indem er von einigen Menschen sagt: "Wenn sie selbst den
Heiligen Geist empfangen haben wie auch wir, wer war ich, dass ich Gott hindern
konnte?" (Apg 10,47; 11,17) Denn der Heilige Geist ist der gute Wille.
Nicht darf darum einer ohne schwere Bedenken von welcher Höhe der Berufung auch
immer abgewehrt werden, dem der gute Wille bezeugt, dass der Heilige Geist in
ihm wohnt und ihn zieht.
143. Die Wohnung der Zellen soll
nun für zwei Arten von Menschen offenstehen: für die Einfältigen, die durch
ihren Sinn und ihr Wollen begierig und fähig erscheinen, die fromme Klugheit zu
erlangen; oder für die Klugen, von denen feststeht, dass sie nach der frommen
und heiligen Einfalt streben. Der törichte Stolz aber oder die stolze Torheit
möge von den Zelten der Gerechten (Ps 117,15) immer fern sein. Es ist aber
jeder Stolz töricht, wenn auch nicht jede Torheit stolz ist. Denn die Torheit
ohne Stolz wird manchmal als Einfalt erfunden. Wenn sie unwissend ist, ist sie
vielleicht gelehrig. Wenn sie nicht belehrt werden kann, kann sie vielleicht gelenkt
werden.
144. Eine Ordensgemeinschaft ist
der eigentümliche Zufluchtsort für die Einfalt, außer sie will nicht gedemütigt
werden, oder sie ist so stumpfsinnig, dass sie nicht geleitet oder gelenkt
werden kann. Einen Menschen mit gutem Willen darf man dennoch nicht aufgeben,
auch wenn er ohne jedes Verständnis ist. Man soll ihn aber in einem heilsamen Ratschluss
zu einem Leben der Arbeit und Tätigkeit verweisen. Der Stolze aber, mag er sich
noch so klug vorkommen, soll sich selber überlassen und vertrieben werden. Wenn
nämlich ein Stolzer aufgenommen wird, beginnt er am ersten Tag, an dem er
eintritt, Gesetze zu geben. Der allzu Törichte aber kann die Gesetze nicht
lernen, die er vorfindet.
Zweite Richtlinie: Klugheit
145. Man soll also sorgfältig und
klug abwägen, wer zugelassen wird, um bei sich zu wohnen. Wer nämlich bei sich wohnt,
hat nur sich selbst, wie er ist, bei sich. Ein böser Mensch wohnt also niemals
in Sicherheit bei sich, weil er mit einem bösen Menschen wohnt, und niemand ist
ihm beschwerlicher als er sich selbst. Die Wahnsinnigen aber oder die
Schwerkranken und die, die aus irgendeinem Grund ihres Geistes nicht genügend
mächtig sind, pflegt man zu bewachen und nicht sich selber zu überlassen oder
anzuvertrauen, damit sie nicht ihre Einsamkeit zum Schlechten missbrauchen.
146. Man möge also den
sinnenverhafteten Menschen, wenn sie demütig und arm im Geiste sind, gestatten,
in den Zellen des Klosters zu wohnen, mit dem Ziel, dass sie verstandesmäßig und
geistlich werden, nicht damit sich diese, die das schon zu sein verdienten, ihretwegen
selbst zurückwenden (1 Tim 5,15) und sinnenverhaftet werden. Sie mögen mit allem
Wohlwollen der Liebe aufgenommen werden. Sie mögen in aller Geduld der Güte
ertragen werden. Doch die mit ihnen Mitleid haben, sollen sich nicht ihnen
angleichen. Sie sollen so deren Fortschritt suchen, dass sie nicht ihretwegen
gezwungen werden, in der Strenge ihres Ordenslebens nachzulassen.
II. Der Bau der Zellen
147. Denn es hat sich schon die
Gewohnheit eingeschlichen, mit fremdem Geld kostspielige und, soweit wir uns nicht
doch schämen, prunkvolle Zellen zu bauen. Wir haben die heilige Einfachheit
verworfen, die, wie Salomo sagt (Sir 7,16 Vg), vom Höchsten geschaffen ist,
bauen uns als Ordenshäuser Wohnungen, die uns Ehre einbringen. Damit haben wir
den sinnenhaften Menschen so viel nachgegeben, dass wir alle in diesem Punkt
fast sinnenverhaftet geworden sind.
148. Wir haben von uns und
unseren Zellen die Form der Armut entfernt, die uns unsere Väter als Erbe
hinterlassen haben, und den Anblick einer heiligen Einfachheit, die wahre Zierde
des Hauses Gottes. Durch die Hand erlesener Künstler haben wir uns nicht so sehr
eremitische als aromatische Zellen (Zellen, die von Wohlgerüchen duften)
erbaut, jede um den Preis von hundert Goldstücken, eine Lust für die Augen, mit
dem Almosen der Armen (Sir 4,1).
149. Nimm, Herr, die Schande der
hundert Goldstücke von den Zellen deiner Armen! Warum bauen sie nicht eher um hundert
Denare? Warum nicht eher umsonst? Warum bauen sich die Söhne der Gnade nicht
vielmehr kostenlos selbst ihre Wohnungen? Welche Antwort erhielt Mose, als er
das Bundeszelt vollenden sollte? "Siehe", sagte der Herr, "du sollst
alles nach dem Vorbild ausführen, das dir auf dem Berg gezeigt wurde"
(Hebr 8,5; Ex 25,40).
150. Schickt es sich etwa, dass
das Zelt Gottes mit den Menschen (Offb 21,3) von Weltmenschen gebaut wird? Die sollen
es selbst für sich bauen, denen auf der Höhe des Geistes die wahre Zierde des
Hauses Gottes (Ps 25,8) gezeigt wird. Die sollen es selbst für sich bauen,
denen die Sorge um ihr Inneres Verachtung und Vernachlässigung aller äußeren Dinge
gebietet. Die Form der Armut, den Anblick heiliger Einfachheit und nüchterne
Linienführung der Väter wird nicht sosehr die Kunstfertigkeit als die
Nachlässigkeit der Künstler hervorbringen.
Notwendige Armut
151. Ich beschwöre euch darum bei
der Pilgerschaft durch diese Welt, bei diesem Kriegsdienst auf der Erde (Ijob
7,1): Bauen wir uns nicht Häuser zum Wohnen, sondern Zelte zum Verlassen (Jer
35,9-10)! Denn schnell müssen wir abberufen werden, um in die Heimat zu
wandern, in unsere Stadt, in das Haus unserer Ewigkeit (Koh 12,5). Wir leben ja
in einem Lager, wir kämpfen in einem fremden Land. Was natürlich ist, ist
leicht. In dem, was uns fremd ist, haben wir Mühe. Ist es etwa nicht leicht für
einen Einsiedler, genügt es nicht der Natur. und entspricht es nicht dem
Gewissen, sich selbst eine Zelle aus Zweigen zu bauen, aus Lehm zu bilden, sie nach
allen Seiten abzudichten und so sehr schicklich darin zu wohnen? Warum sollen
wir noch mehr suchen?
152. Glaubt doch, Brüder - möchte
euch doch diese Erfahrung zuteilwerden! - dass diese Schönheiten und dieser äußere
Glanz schnell das männliche Vorhaben entkräften und den männlichen Geist verweiblichen.
Denn wenn deren Freuden auch oft durch den Gebrauch selbst ihren Reiz
verlieren, wenn es auch welche gibt, die die Welt gebrauchen, als gebrauchten
sie sie nicht (1 Kor 7,31), so werden Neigungen dieser Art doch eher durch
Verachtung als durch Gebrauch ausgerottet und besiegt.
153. Die äußeren Dinge tragen
auch nicht wenig bei für unser inneres Leben, wenn sie nach der Ähnlichkeit des
Geistes gemacht und gestaltet sind, wenn sie einem guten Vorhaben auf ihre Art
entsprechen. Denn eine ärmlichere Lebensweise zügelt bei den einen die Begierde,
bei andern macht sie die Seele geneigt, die Armut zu lieben.
154. Doch für einen Geist, der
dem inneren Leben zugewandt ist, geziemt es sich mehr, dass alle äußeren Dinge
ungepflegt und vernachlässigt sind. Daran erkennt man, dass dieser Geist, mag
er auch Bewohner des Hauses sein, sich öfter anderswo aufhält, und die heilige
Absicht verrät, dass sie anderswo mehr beschäftigt ist. In wirksamer Weise
bringt der das innere Leben mit dem guten Gewissen in Einklang, der anzeigt, dass
ihm alles Äußere wertlos geworden ist.
155. Ich beschwöre euch also,
jene allzu eleganten Zellen mögen bleiben, so wie sie gebaut sind, aber ihre
Zahl soll nicht zunehmen. Sie sollen als Krankenzellen für die
sinnenverhafteten und eher kranken Brüder verwendet werden, bis sie gesund
werden, das heißt: bis sie nicht mehr nach Zellen für Kranke verlangen, sondern
nach Zellen von solchen, die im Lager des Herrn kämpfen. Sie sollen auch als
Beispiel für eure Nachkommen bleiben, dass ihr solche Zellen zwar gehabt, aber
verachtet habt.
III. Der Lebensunterhalt des Einsiedlers
Das Beispiel der Väter in der
Frühzeit
156. Ihr aber, die ihr geistlich
seid, wie die Hebräer, das heißt Vorübergehende, die hier keine bleibende
Stätte haben, sondern die künftige suchen (Hebr 13,14), baut euch, wie ihr
begonnen habt, Hütten, in denen ihr wohnen könnt. Denn in Hütten wohnten unsere
Väter (Hebr 11,9-16). Sie wohnten im Land der Verheißung wie in einem fremden
Land mit den Miterben der Verheißung und erwarteten eine Stätte mit fester Grundlage,
deren Gründer und Künstler Gott ist. Sie erlangten die Verheißungen noch nicht,
sondern sahen und begrüßten sie aus der Ferne und bekannten, dass sie Fremde und
Pilger seien auf der Erde. Denn die das behaupten, erklären, dass sie eine
bessere Heimat suchen, nämlich die himmlische.
157. Darum suchten unsere Väter
in Ägypten und in der Thebais dieses heilige Leben leidenschaftlich
nachzuahmen, lebten in der Wüste, erlitten Not und Bedrängnis (Hebr 11,37). Ihrer
war die Welt nicht würdig (Hebr 11,38). Sie bauten sich selbst Zellen, hatten
nur ein Dach und eine Umzäunung und wurden so vor Sturm und Regen geschützt.
Darin hatten sie Überfluss an den Freuden eines einfachen Einsiedlerlebens, machten
viele reich, während sie selbst in Armut lebten (2 Kor 6,10).
158. Mit welchen Namen ich sie
würdiger ansprechen soll, weiß ich nicht: Soll ich sie himmlische Menschen oder
irdische Engel nennen? Sie lebten auf der Erde, aber ihr Wandel war im Himmel
(Phil 3,20). Sie arbeiteten mit ihren Händen. Von ihrer Arbeit ernährten sie
die Armen, während sie selbst hungerten. Von der einsamen Wüste aus ernährten
sie die Gefangenen und Kranken in den Städten und unterstützten alle, die sich
in irgendwelchen Nöten befanden. Zugleich lebten sie von der Arbeit ihrer Hände
und wohnten in Häusern, die sie mit der Arbeit ihrer Hände erbaut hatten.
Das Recht, von Almosen zu
leben
159. Was werden wir zu diesem
Vorbild sagen, die wir zwar nicht sinnenverhaftete Menschen sind, aber doch
irdische Lebewesen, die wir an der Erde und an den Sinnen des Fleisches hängen,
die wir im Sinne des Fleischeswandeln (2 Kor 10,3; Kol 2,18) und von fremden
Händen abhängig sind?
160. Gewiss tröstet uns darin ein
wenig jener, der, obwohl er reich war, für uns arm wurde (2 Kor 8,9) und der
das Gebot der freiwilligen Armut gegeben hat (Lk 12,33; Mt 6,24; 19,23; Lk
18,33). Er hat sich gewürdigt, uns in seiner Person ein Beispiel dieser Armut
zu geben. Damit die Armen, die nach dem Evangelium leben, wissen, was sie tun
sollen, wollte er selbst von den Gläubigen ernährt werden (Lk 10,38; Joh 12,2),
manchmal auch von den Ungläubigen. Er lehnte es nicht ab, von ihnen das
Lebensnotwendige anzunehmen, um sie zum Glauben zu führen (Lk 5,30; 7,36; 15,2;
19,5).
161. Aber auch in der Urkirche
hatten die heiligen Armen für Christus den Verlust ihrer Güter erlitten (Hebr
10,34), oder sie hatten nach dem Gebot der Vollkommenheit alles verlassen (Lk
11,41; 12,33) und verkauft und alles mit der brüderlichen Gemeinschaft der
Gläubigen geteilt (Apg 2,44-45). Mit welcher Sorge und mit welcher Liebe die
heiligen Apostel dafür eintraten, dass die Armen ihren Lebensunterhalt von den
Gläubigen erhielten, zeigen deutlich das Buch der Apostelgeschichte und Paulus
in seinen Briefen (Apg 11, 29; 1 Kor 16,1-4; 2 Kor 8.9).
162. Wenn diese Lebensweise auch
gerade durch ein Gebot und eine Anordnung des Herrn vorzüglich denen gewährt wird,
die das Evangelium verkünden (1 Kor 9,14), wird sie dennoch durch das Ansehen
der Apostel auch denen nicht verweigert, die nach dem Evangelium leben, wie
jenen heiligen Armen, die es damals in Jerusalem gab. Diese werden auch deswegen
heilige Arme genannt, weil sie gelobt hatten, in einem gemeinsamen Leben nach
Heiligkeit zu streben, und sich selbst gerade deswegen arm gemacht hatten.
163. Wenn nun der Apostel mit
großer Strenge gewissen Leuten erklärt: "Wer nicht arbeiten will, soll
auch nicht essen" (2 Thess 3,10), zeigt er sofort auf, von wem er spricht.
Denn er fährt fort: "Wir haben nämlich gehört, dass einige unter euch
unruhig leben, nicht arbeiten, sondern unnütze Dinge treiben. Solche aber
ermahnen und beschwören wir im Herrn Jesus
Christus in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr eigenes Brot zu essen"
(2 Thess 3,11-12). Ihr eigenes? Das heißt: das Brot, das sie durch ihre Arbeit
verdient und erworben haben. Mochten diese Leute auch sehr unruhig sein, nichts
arbeiten und unnütze Dinge treiben, so war doch der Name des Herrn über ihnen
angerufen (Apg 15,17; Jer 14,9). Damit es darum nicht scheine, er habe sie
gleichsam im Stich gelassen und verstoßen, fügt er sofort hinzu: "Ihr
aber, Brüder, werdet nicht müde, Gutes zu tun" (2 Thess 3,13); in Christus
Jesus, unserem Herrn, als ob er sagen wollte: Wenn sie auch in ihrer
Nachlässigkeit verharren, sollt ihr dennoch in eurer Wohltätigkeit nicht müde
werden, sie zu unterstützen.
Die Dispens von der Handarbeit
164. Der Apostel erklärt also
zuerst sehr streng, dass die nicht essensollten, die nicht arbeiten wollen.
Dann aber zeigt er sich ein wenig milder denen gegenüber, die nicht arbeiten. Darum
könnten wir nach dem Sinn dieser Stelle sagen, ohne gänzlich von der Wahrheit
abzuweichen, dass jene Strenge denen gilt, die nicht wollen, obwohl sie
könnten; die Nachsicht aber denen, die zwar wollten, aber nicht können. Weil er
aber auch diese im Herrn Jesus Christus ermahnt und beschwört, in Ruhe ihr Brot
zu essen, scheinen sie nicht ihr Brot zu essen, außer sie machen es zu ihrem
Brot, dadurch dass sie arbeiten, soweit sie arbeiten können, nach dem Zeugnis Gottes
und ihres Gewissens (2 Kor 1,12).
165. Verzeih, Herr, verzeih! Wir
entschuldigen, wir suchen Ausflüchte, aber niemand kann sich vor dem Licht
deiner Wahrheit verbergen (Ps 18,7). Wie es die erleuchtet, die sich ihm
zuwenden, so trifft es auch die, die sich abwenden. Nicht ist verborgen vor dir
unser Gebein, das du geformt hast, verborgen vor den Menschen (Ps 138,15). Wir
aber verbergen es vor uns selber. Denn kaum einer möchte in dem, was dich betrifft,
erfahren, was er kann. Er kann es aber sehr leicht, sobald ihn, was das Fleisch
oder die Welt betrifft, entweder die Furcht bedrängt oder die Begierde zieht.
Aber wenn wir auch unwissende Menschen täuschen, so gestatte nicht, dass wir
uns selbst täuschen, indem wir gleichsam dich täuschen wollen. Wir arbeiten
nicht, weil wir entweder nicht können oder weil es uns scheint, dass wir nicht
können, oder weil wir infolge der Gewohnheit des Nichtstuns und des Vergnügens uns
zur Arbeit unfähig gemacht haben.
166. Lasst uns also anbeten und
niederfallen und weinen vor dir, der du uns geschaffen hast (Ps 94,6), der du
uns infolge unserer offenkundigen Sünde in deinem verborgenen Gericht dazu
geschaffen hast, dass wir vielleicht nicht können, weil wir es nicht wirklich
wollen, oder dass wir, weil wir nicht wollten, als wir konnten, dann nicht
können, wenn wir wollen. Lasst uns wenigstens nach der Strafe Adams unser Brot essen,
wenn wir es schon nicht im Schweiße unseres Angesichts (Gen 2,17-19) können, so
doch im Schmerz unseres Herzens, in den Tränen des Schmerzes, wenn schon nicht
im Schweiße der Arbeit. Diesen großen Verlust unserer Berufung möge die Liebe
und die Hingabe eines gedemütigten Gewissens ersetzen. Unsere Tränen mögen
unser Brot sein bei Tag und bei Nacht, solange man unserer Seele sagt: "Wo
ist dein Gott?" (Ps 41,4) Das heißt: Solange unsere Seele auf der
Pilgerfahrt fern vom Herrn, ihrem Gott, ist, fern vom Lichte seines
Angesichtes.
167. Eines freilich wäre
notwendig (Lk 10,42). Wir aber, die wir weder auf das Eine ausgerichtet sind,
noch uns im Vielen abmühen, zu welchem Stand werden wir gerechnet werden? Hoffentlich zu dem, von dem der
Apostel sagt:"Dem, der keine Werke tut, sondern an den glaubt, der den Gottlosen
gerecht macht, dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet nach dem Ratschluss
der Gnade Gottes" (Röm 4,5 Vg). Würden wir doch wie jene Sünderin
beurteilt werden, der viel vergeben wurde, weil sie viel geliebt hat (Lk 7,47)!
Und glücklich die Seele, die nach diesem Urteil beim Herrn verdient hat,
gerechtfertigt zu werden nach der Beurteilung derer, die den Namen des Herrn
lieben (Ps 118, 132), so dass diese Seele jede Gerechtigkeit, die von Werken kommt,
und jedes Vertrauen auf Verdienste aufgibt und in dem allein gerechtfertigt
wird, dass sie viel geliebt hat. Denn in der Liebe zu dir, 0 Gott, ist für das
liebende Gewissen deine Liebe selbst ein großer Lohn (Sir 12,2), dann aber das ewige
Leben.
168. So beschwöre ich euch,
Brüder, entschuldigen wir uns nicht, sondern klagen wir uns an und bekennen
wir! Wenn wir bei den Menschen "den Schatten eines großen Namens" (Lukan,
De bello civili I 135) und den Anschein einer gewissenpersönlichen Vollkommenheit
erlangt haben, dann wollen wir vor Gott die Armut unseres Gewissenserkennen und
niemals von der Wahrheit abweichen. Und die Wahrheit wird uns befreien (Joh
8,32).
5. Kapitel: Anleitung zum Gebet
169. Im folgenden muss der
sinnenverhaftete Anfänger, der junge Soldat Christi, belehrt werden, wie er
sich Gott nähern kann, damit sich ihm Gott nähert. So mahnt nämlich der Prophet:
"Nähert euch Gott, dann wird er selbst sich euch nähern" (Jak 4,8).
Denn der Mensch muss nicht nur geschaffen und geformt werden, sondern auch
belebt. Zuerst hat Gott nämlich den Menschen geformt, dann hauchte er in sein Angesicht
den Atem des Lebens, und so wurde der Mensch zum lebenden Wesen (Gen 2,7). Die
Formung des Menschen ist die moralische Erziehung, sein Leben aber ist die
Liebe Gottes.
170. Diese empfängt der Glaube,
gebiert die Hoffnung, formt und belebt die göttliche Liebe (caritas). die der
Heilige Geist ist. Denn die Liebe Gottes, oder die Liebe, die Gott ist, der Heilige
Geist, ergießt sich in die Liebe des Menschen und in seinen Geist und macht ihn
sich zu eigen. Indem Gott sich selbst im Menschen liebt, vereinigt er ihn mit
sich, sowohl seinen Geist, als auch seine Liebe. So wie nämlich der Körper nur
von seinem Geist das Leben empfängt, so lebt auch die Zuneigung des Menschen,
die Liebe genannt wird, nicht, das heißt: sie liebt Gott nicht, außer diese
Liebe ist vom Heiligen Geist.
Lesung und Meditation
171. Die Liebe Gottes, die im
Menschen durch die Gnade erzeugt ist, erhält also als Nahrung Milch durch die
Lesung, feste Speise durch die Meditation, Stärkung und Erleuchtung durch das
Gebet. Um das innere Leben des sinnenverhafteten Menschen, der noch neu ist in
Christus (2 Kor 5,17), zu erwecken, kann ihm nichts Besseres und Sichereres zur
Lesung und Meditation vorgelegt werden als das äußere Leben unseres Erlösers.
An ihm soll das Beispiel der Demut aufgezeigt werden, die Aufforderung zur
Liebe und die Gesinnung der Frömmigkeit; ebenso von den Heiligen Schriften und
von den Abhandlungen der heiligen Väter die moralischen und verständlicheren
Teile.
172. Man soll ihn auch die Taten
oder Leiden der Heiligen lesen lassen. Er soll sich aber dabei nicht zu viel
Mühe auf der geschichtlichen Ebene geben. Immer soll ihm etwas begegnen, was
den Geist eines Anfängers zur Liebe Gottes und zur Verachtung seiner selbst
anregt. Andere Geschichten unterhalten zwar den Leser, aber erbauen ihn nicht.
Sie vergiften vielmehr den Geist und bewirken, dass zur Zeit des Gebetes oder
der geistlichen Meditation alle möglichen unnützen oder schädlichen Gedanken
aus dem Gedächtnis hervorsprudeln. Denn gewöhnlich folgt der Art der Lesung
eine ähnliche Meditation. Auch ermüdet die Lesung schwieriger Schriften, sie
erquickt nicht einen schwächeren Geist, sie stört die Aufmerksamkeit und macht
das Gefühl oder den Geist stumpf.
Das innere Gebet
173. Man muss ihn auch lehren, im
Gebet sein Herz zu erheben (Klgl 3,41), geistlich zu beten und sich von der
körperlichen Welt oder von körperlichen Bildern, wenn er an Gott denkt,
möglichst weit zu entfernen. Er soll auch ermahnt werden, sich mit möglichster
Reinheit des Herzens dem zuzuwenden, dem er das Opfer seines Gebetes darbringt.
Der Opfernde soll auf sich selbst achten und bedenken, was und wie beschaffen
sein Opfer ist. Wieweit er nämlich den sieht und erkennt, dem er opfert, soweit
liebt er ihn auch und die Liebe selbst ist für ihn Verstehen. Und in dem Maße,
in dem er liebt, findet er Geschmack an seiner Opfergabe - wenn sie Gottes
würdig ist (Mich 6,6) - und er ist darin glücklich (Ps 127,2; Jer 7,23; 32,39).
174. Es ist, wie schon gesagt,
besser und sicherer, einem solchen Menschen, der betet oder meditiert, das Bild
der Menschheit des Herrn vor Augen zu stellen, seine Geburt, sein Leiden und
seine Auferstehung. So hat der schwache Geist, der sich nur die körperliche
Welt vorstellen kann, einen Gegenstand, dem er sich zuwenden kann, bei dem er
auf seine Weise mit dem Blick der Liebe verweilen kann. In diesen Geheimnissen erscheint
der Herr in seiner Eigenschaft als Mittler. Wenn der Mensch in ihm sein eigenes
Bild aufsucht, sündigt er nicht, wie man bei Ijob lesen kann (Ijob 5,24). Denn
wenn er seinen aufmerksamen Blick auf ihn richtet, wenn er sich Gott in
menschlicher Gestalt vorstellt, weicht er keineswegs von der Wahrheit ab. Da er
durch den Glauben Gott nicht vom Menschen trennt, kann er lernen, Gott einmal
im Menschen zu begreifen.
175. Dabei ist für gewöhnlich für
die Armen im Geiste, für die einfältigeren Kinder Gottes am Anfang das Gefühl
umso süßer, je näher es der menschlichen Natur ist. Dann aber, wenn der Glaube
zur Liebe geworden ist, umfangen sie im Innern ihres Herzens in einer süßen
Umarmung ihrer Liebe Christus Jesus, ganz Mensch wegen der Annahme der
menschlichen Natur, und ganz Gott, weil Gott die menschliche Natur angenommen
hat. Sie beginnen dann, ihn schon nicht mehr dem Fleische nach zu kennen, wenn
sie ihn auch als Gott noch nicht vollkommen denken können (2 Kor 5,16). Indem
sie ihn in ihrem Herzen heilig halten, bringen sie ihm in Liebe ihre Gelübde
dar, die ihre Lippen zum Ausdruck brachten (Ps 65,14): inständiges Flehen,
Gebete, Bitten, wie Zeit und Umstände sie nahelegen.
Verschiedene Arten des Gebetes
176. Es gibt nämlich verschiedene
Gebete. Die einen sind kurz und einfach, wie sie der Wille oder die Not des
Betenden nach dem jeweiligen Ereignis formt. Die anderen sind länger und
verstandesmäßig. Es sind das die Gebete von Menschen, die in der Erforschung
der Wahrheit bitten, suchen und anklopfen, bis sie erhalten, finden und bis
ihnen aufgetan wird (Mt 7,7). Wieder andere sind feurig, voll geistlicher
Eingebung und fruchtbar. Sie kommen aus der Liebe dessen, der Gott genießt, und
aus der Freude über die erleuchtende Gnade.
177. Es sind das die Gebete, die
der Apostel in einer anderen Reihenfolge anführt: inständiges Flehen, Gebete,
Bitten und Danksagungen (1 Tim 2,1). Denn wir setzen die Bitte an die erste
Stelle. Sie bezieht sich auf die Erlangung irgendwelcher zeitlicher und
notwendiger Dinge dieses Lebens. Dabei prüft Gott den guten Willen des
Bittenden und wirkt dennoch das, was er selbst für besserhält. Er gibt aber
auch dem, der in rechter Weise bittet, dass er gerne seinem Willen folgt. Von
dieser Bitte spricht auch der Psalmist: "Denn mein Gebet erflehte bis
jetzt, was ihnen gefällt" (Ps 140,5). Das heißt: Was auch den gottlosen
Menschen gefällt. Diese Bitte ist nämlich allen gemeinsam, am meisten aber ist
es die Bitte der Kinder dieser Welt. Sie wünschen sich die Ruhe des Friedens, die
Gesundheit des Körpers, günstige Witterung und anderes, was das Bedürfnis und
die Notwendigkeit dieses Lebens betrifft, und sogar das Vergnügen derer, die
das Leben missbrauchen. Die nun vertrauensvoll darum bitten, mögen sie das auch
nur aus Notwendigkeit erbitten, unterwerfen doch gerade darin ihren Willen dem
Willen Gottes.
Das inständige Flehen
178. Das inständige Flehen ist
ein ängstliches Drängen zu Gott hin während der geistlichen Übungen. Wer dabei,
bevor die Gnade kommt, um zu helfen, das Wissen mehrt, mehrt nur den Schmerz
(Koh 1,18).
Das Gebet
179. Das Gebet aber ist eine
liebende Zuwendung des Menschen, der Gott anhängt, ein vertrautes und frommes
Gespräch, ein Verweilen des erleuchteten Geistes, um Gott zu genießen, solange
es möglich ist.
Die Danksagung
180. Die Danksagung aber ist in
der Erfahrung und Erkenntnis der Gnade Gottes die unermüdliche und dauernde
Hinwendung des guten Willens zu Gott, auch wenn die äußere Handlung oder die
innere Zuneigung einmal nicht vorhanden oder gelähmt ist. Von ihr spricht der
Apostel: "Das Wollen liegt mir nahe, aber das Vollbringen des Guten finde
ich nicht" (Röm 7,18). Er sagt damit gleichsam: Sie ist zwar immer da,
aber manchmal liegt sie am Boden, das heißt, sie ist unwirksam, weil ich das
Vollbringen des Guten suche, aber nicht finde. Das ist die Liebe, die niemals
aufhört (1 Kor 13,8).
181. Das ist aber jenes Gebet
ohne Unterlass, oder jene Danksagung,
von der der Apostel spricht: "Betet ohne Unterlass! Seid immer dankbar!"
(1 Thess 5,17-18) Dieses Gebet kommt aus einer beständigen Güte des Herzens,
eines wohlgeordneten Geistes und ist bei den Söhnen Gottes ein Abbild der Güte
Gottes, des Vaters. Eine solche Seele betet immer für alle (Kol 1,9) und dankt
Gott bei allem (1 Thess 5,18). Der fromme Sinn ergießt sich beständig auf so
viele Weisen im Gebet oder in der Danksagung vor Gott, wie viele Gründe er in
seinen Nöten und Tröstungen, oder auch in Mitleid und Mitfreude mit dem
Nächsten findet. Dieses Gebet ist ganz und beständig Danksagung. Denn wer so
ist, ist immer in der Freude des Heiligen Geistes.
Anleitungen
182. Beim Bittgebet muss man also
fromm und vertrauensvoll beten. Man darf aber nicht hartnäckig am Gegenstand der
Bitte hängen bleiben. Denn nicht wir wissen, was uns in diesem zeitlichen Leben
nötig ist, sondern unser himmlischer Vater (Mt 6,8.32).
183. Bei den inständigen Gebeten muss
man aber beharren, doch in aller Demut und Geduld, weil sie nur in Geduld Frucht
bringen (Lk 8,15). Manchmal nämlich, wenn die Gnade nicht besonders schnell zu
Hilfe kommt, dann wird der Himmel für den Flehenden ehern und die Erde eisern
(Dt 28,23). Wenn dann die Härte des menschlichen Herzens sich selbst überlassen
ist und sie nicht verdient, nach Wunsch erhört zu werden, glaubt der
sehnsüchtig verlangende Mensch in seiner Angst, es werde ihm verweigert, was
aufgeschoben wird. Wie jene Kananäerin stöhnt er, weil er glaubt, er werde übergangen
und verachtet. Er stellt sich vor, seine früheren Sünden würden wie der Schmutz
des Hundes angerechnet oder vorgeworfen (Mt 15,22-28).
184. Manchmal empfängt der, der
nicht ohne Mühe bittet; er sucht und findet; er klopft an und es wird ihm
aufgetan, und die Mühe eines inständigen Gebetes verdient endlich einmal, Trost
und Süßigkeit des Gebetes zu erlangen.
185. Manchmal wird auch das
Erlebnis des reinen Gebetes und jene angenehme Süßigkeit der Liebe nicht von
uns gefunden, sondern es ist gleichsam so, dass sie uns findet. Ohne dass der
Mensch bittet, sucht und anklopft, fast ohne dass er es weiß, kommt ihm die
Gnade zuvor. So wird gleichsam die Schar der Sklaven zum Tisch der Söhne
zugelassen, wenn der noch unerfahrene Geist des Anfängers zu dieser
Hochstimmung des Gebetes erhoben wird, die gewöhnlich als Lohn für die
Heiligkeit den Verdiensten. der Vollkommenen gegeben wird. Das geschieht, dass
entweder der Nachlässige zu seiner Verurteilung wohl weiß, was er
vernachlässigt, oder dass die Herausforderung der Liebe in ihm die Liebe
entflamme, die die Gnade von selbst darbietet.
186. Darin täuschen sich leider
viele, dass sie glauben, schon Söhne zu sein, weil sie das Brot der Söhne
essen(Mt 15,26). Sie lassen nach, wo sie Fortschritte machen sollten. Nach der Heimsuchung
der Gnade verlieren sie ihre Gewissenhaftigkeit. Sie glauben, etwas Zl:J sein,
obwohl sie nichts sind (Gal 6,3). Die Gaben Gottes bewirken nicht ihre
Besserung, sondern ihre Verhärtung. Sie werden denen gleich, von denen der
Psalm sagt: "Die Feinde des Herrn haben ihm geschmeichelt und ihre Zeit
wird ewig dauern. Er nährte sie mit dem Mark des Weizens und sättigte sie mit
Honig aus dem Felsen" (Ps 80, 16-17). Obwohl Sklaven, werden sie dennoch
von Gott Vater manchmal mit dem kostbareren Brot der Gnade genährt, damit sie
danach streben, Söhne zu sein. Sie aber missbrauchen die Gnade Gottes und
werden Feinde. Sie missbrauchen sogar die Heilige Schrift in ihren Sünden und
Begierden, indem sie nach dem Gebet zu ihnen zurückkehren und jenes Wort der
Gattin des Manue auf sich anwenden: "Wenn der Herr uns töten wollte, hätte
er das Opfer aus unseren Händen nicht angenommen" (Ri 13,23).
2. Teil
Der verstandesmäßige und der
geistliche Mensch
1. Kapitel: Vom Anfänger zum Vollkommenen
Zusammenfassung der drei
Stufen
187. "Wie lieblich sind
deine Wohnungen, Herr der Heerscharen, in denen der Sperling sein Haus findet
und die Turteltaube ihr Nest, wohin sie ihre Jungen legt" (Ps 83,2.4). Der
Sperling, sage ich, ist ein von Natur aus fehlerhaftes Wesen, wankelmütig,
leichtfertig, lästig, geschwätzig, geneigt zur Lust. Die Turteltaube hingegen
liebt die Traurigkeit, wohnt gerne allein an einem schattigen Ort, ist ein Bild
der Einfalt, ein Vorbild der Keuschheit. Jener findet dort ein ruhiges und
sicheres Haus, diese für sich ein Nest, wohin sie ihre Jungen legen kann.
188. Was stellen diese Lebewesen
anderes dar als die von Natur aus heißblütige Jugend und ihren glühenden Geist,
ihr wankelmütiges Alter, ihre unruhige Neugierde. Andererseits aber die Reife
des Mannes, einen ernsten, keuschen und nüchternen Geist, überdrüssig der
äußeren Dinge, in sich soweit als möglich gesammelt.
189. Von diesen findet der eine
in den Wohnungen des Herrn der Heerscharen, nämlich in dem geordneten Leben in
einer Zelle, fern von allen Lastern Ruhe, beständigen Schutz und sicheren
Aufenthalt. Der andere aber findet in der Abgeschiedenheit der Zelle einen
ruhigeren Ort für sein Gewissen, um die Früchte seiner heiligen Gefühle und die
Erfahrungen seiner geistlichen Kontemplation zu bergen und zu nähren. Der
einsame Sperling auf dem Dach (Ps 101,8), das heißt: auf der Höhe der
Kontemplation, liebt es, die Wohnung seines fleischlichen Lebens mit den Füßen
zu treten. Die Turteltaube findet ihre Fruchtbarkeit in den Niederungen und
freut sich an den Früchten der Demut.
190. Denn die Vollkommenen und
Geistlichen, die mit dem Namen der Turteltaube bezeichnet werden, demütigen sich
immer durch die Tugend des Gehorsams und der Unterwerfung und erniedrigen sich
zu dem, was Sache der Anfänger ist, um ihre Tugend zu festigen und zu stärken.
Indem sie unter sich hinabsteigen, steigen sie über sich hinauf und indem sie
sich selbst demütigen, schreiten sie mehr voran. Sie glauben nicht, wegen der
Früchte der Einsamkeit, welche die häufigen und erhabenen Entrückungen der
Kontemplation sind, eine gewissenhafte, freiwillige Unterwerfung, die Teilnahme
am gemeinsamen Leben und die Süßigkeit der brüderlichen Liebe vernachlässigen
zu dürfen.
191. Der geistliche Mensch
gebraucht sogar seinen Körper in geistlicher Weise. Daher verdient er von ihm
einen Dienst, der nicht mit Gewalt erzwungen ist wie beim sinnenverhafteten Menschen,
oder durch Gewohnheit erreicht ist wie im Falle des verstandesmäßigen Menschen,
sondern gleichsam natürlich gewährt wird. Während die letzteren nur einen
Gehorsam aus Notwendigkeit kennen, gehorcht er aus Liebe. Jene besitzen die
Tugenden nur mit Mühe, ihm aber sind sie schon zur Gewohnheit geworden.
192. Jene Sperlinge Gottes
streben nach oben, nach dem, was Sache der Vollkommenen ist, nicht in stolzer
Anmaßung, sondern in kindlicher Liebe und in der Armut ihres Geistes. Sie
werden nicht als überheblich zurückgestoßen, sondern wegen ihrer Frömmigkeit
aufgenommen und manchmal verdienen sie das zu erfahren, was die Geistlichen
genießen. Sie trachten immer danach, das tätige Leben derer nachzuahmen, deren
kontemplativen Trost sie zu erlangen wünschen.
193. So gehen sie ihren Weg im
gleichen Geiste, wenn auch nicht im selben Schritt; und sie machen in gleicher
Weise Fortschritte, die Geistlichen im Niedrigen, die Anfänger in den Höhen.
Und das sind die heiligen Beziehungen, die in wohl geordneten Zellen
stattfinden, die ehrwürdigen Bemühungen, die geschäftige Muße, die mühevolle
Ruhe und die geordnete Liebe (Hld 2,3): indem sie beide schweigen, sprechen sie
miteinander; sie sind voneinander getrennt, aber erfreuen sich mehr aneinander;
sie schreiten voran, der eine mit der Hilfe des anderen; obwohl sie sich nicht
sehen, sieht der eine am andern, was nachzuahmen ist, an sich selber aber nur,
was zu beweinen ist.
194. Ich aber, wie der Prophet
sagt, ein Mann, der seine Armut sieht (Klgl 3,1), erröte und seufze bei mir
selbst, wenn ich die Schätze der anderen
zusammenzähle. Denn ich wollte lieber an mir erfahren, was ich für andere
darstelle. Denn von zwei Übeln ist es das erträglichere, nicht zu sehen, was
man liebt, als es zu sehen und nicht zu haben. Dennoch ist es nicht so bei den
Gütern des Herrn. Denn die Güter des Herrn sehen, heißt sie lieben, sie lieben
aber heißt sie besitzen. Darum wollen wir uns bemühen, soweit wir können, sie
zu sehen. Durch das Sehen wollen wir sie verstehen, durch das Verstehen lieben,
damit wir sie durch das Lieben besitzen. Herr, danach ist vor dir all meine
Sehnsucht, und mein Seufzen ist vor dir nicht verborgen (Ps 37,10).
2. Kapitel: Der Verstandesmäßige
Mensch oder der Fortschreitende
I. Die Vernunft, die sich für Gott öffnet,
der Anfang des Verstandesmäßigen Menschen
Vorbemerkungen
195. Wenn wir von der Stufe des
sinnenverhafteten Menschen zum verstandesgemäßen übergehen, um vom
verstandesgemäßen zum geistlichen überzugehen, wenn wir darüber schreiben und
hoffentlich darin auch Fortschritte machen, müssen wir vor allem bedenken, dass
die Weisheit, wie wir im Buche, das diesen Namen trägt, lesen können, denen
zuvorkommt, die nach ihr verlangen (Weish 6,14), dass sie ihnen entgegeneilt
und freundlich auf allen Wegenerscheint (Weish 6,17). Das gilt für den
Fortschritt, die Betrachtung und das Studium. Denn sie durchdringt alles wegen
ihrer Reinheit (Weish 7,24). Gott hilft (Ps 45,6) nämlich mit seinem Angesicht dem,
der ihn schaut, er bewegt ihn und regt ihn an. Die Schönheit des höchsten Gutes
zieht den an, der es betrachtet.
196. Wenn die Vernunft
voranschreitend zur Liebe emporsteigt und die Gnade zum Menschen der Liebe und
Sehnsucht herabsteigt, dann geschieht es oft, dass Vernunft und Liebe, die
diese beiden Stufen bewirken, eins werden, und auch das, was von ihnen bewirkt
wird, nämlich Weisheit und Wissen. Und sie können nun nicht mehr getrennt
behandelt oder gedacht werden, da sie schon eins sind und das Ergebnis einer
Tätigkeit und einer Tugend sind, sowohl im Verstehen des Erkennenden, als auch
in der Freude des Genießenden. Wenngleich der eine vom andern zu unterscheiden
ist, muss dennoch, wenn die Sache sich so darbietet, der eine mit dem andern und
im andern gedacht und behandelt werden.
197. Wie also im Fortschritt des
religiösen Lebens – wir haben oben schon davon gesprochen - der
sinnenverhaftete Mensch über seinen Körper wacht, um das äußere Leben zu ordnen
und für die Übung der Tugend zu bereiten, so muss der verstandesmäßige Mensch
sich um den Geist kümmern, ihn hervorbringen, wenn er noch fehlt, ihn ausbilden
und ordnen, wenn er schon vorhanden ist. Vor allem muss man überlegen, wer oder
was der Geist selbst ist, den die Vernunft zu einem vernünftigen macht; dann,
was die Vernunft selbst ist, die ein sterbliches Lebewesen, dadurch dass sie es
vernünftig macht, zu einem Menschen macht. Aber zuerst müssen wir von der Seele
sprechen.
Die vernunftbegabte Seele
198. Die Seele (anima) ist ein unkörperliches
Wesen, fähig der Vernunft und dazu bestimmt, dem Körper Leben zu geben. Sie
bewirkt, dass die Menschen beseelt sind (animales), Geschmack finden an den
Dingen des Fleisches und von den Sinnen des Körpers abhängig sind. Sobald die
Seele aber beginnt, nicht nur empfänglich für die vollkommene Vernunft zu sein,
sondern ihrer auch teilhaftig, legt sie sofort das Zeichen des weiblichen
Geschlechtes ab und wird der Geist (animus), der an der Vernunft teilhat, der
geeignet ist, den Körper zu leiten, der sich selbst besitzt. Solange er noch
Seele ist, wird er schnell weiblich, indem er sich dem zuwendet, was
fleischlich ist. Der Geist aber trachtet nach dem, was männlich oder geistlich
ist.
199. Denn der Geist des Menschen
ist geschaffen mit Scharfsinn im Streben nach dem Guten und mit einer Natur,
bereit zur Tat. Er steht an der Spitze der von der schöpferischen Weisheit
geschaffenen Dinge. Er überragt die materielle Schöpfung, ist leuchtender als
jedes körperliche Licht und würdiger, weil er ein Abbild des Schöpfers ist und
fähig, die Vernunft aufzunehmen. Dennoch wurde er, verstrickt in die Sünde des
fleischlichen Ursprungs, Sklave der Sünde und gefangen genommen unter dem
Gesetz der Sünde, das in den Gliedern ist (Röm 7,23). Dennoch verlor er nicht
gänzlich die Entscheidungsfähigkeit, das heißt das Urteil des Verstandes, das
abschätzt und unterscheidet, wenngleich er seine Freiheit im Wollen und Tun
verloren hat.
200. Denn zur Strafe für die
Sünde und zum Zeugnis für die verlorene natürliche Würde ist ihm die
Entscheidungsfähigkeit gelassen, wenn auch als eine gefangene, als ein Zeichen.
Er kann sie auch vor der Bekehrung und Befreiung des Willens niemals zur Gänze
durch irgendeine Abkehr des Willens verlieren. Auch wenn er sie missbraucht,
indem er das Böse an Stelle des Guten wählt, ist er durch sie, wie gesagt,
besser und würdiger als die ganze materielle Schöpfung, sowohl in sich, als
auch in der Kunst der schöpferischen Wahrheit.
201. Der Wille aber wird befreit,
wenn er Liebe wird, wenn die Liehe Gottes ausgegossen wird in unseren Herzen
durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wird (Röm 5,5). Und dann ist die
Vernunft wirklich Vernunft, das heißt eine Haltung des Geistes, die in allem
mit der Wahrheit übereinstimmt. Wenn nämlich der Wille durch die befreiende
Gnade befreit ist und der Geist durch die freie Vernunft geleitet zu werden beginnt,
dann ist er Herr seiner selbst, das heißt, er gebraucht sich selber in
Freiheit, er wird Geist (animus) und guter Geist (bonus animus). Geist,
insofern er sein Lebewesen (animal) gut belebt (animans) und vollendet durch
die Ergänzung der freien Vernunft. Gut aber, insofern er schon sein eigenes Gut
liebt, durch das er gut wird und ohne das er weder gut noch Geist sein kann.
202. Der Geist wird aber gut und
vernünftig, wenn er den Herrn, seinen Gott, aus ganzem Herzen liebt, mit seiner
ganzen Seele, mit seinem Sinn und mit allen seinen Kräften, sich selbst aber
nur in Gott und seinen Nächsten wie sich selbst (Lk 10,27). Der Geist wird gut,
wenn er Gott fürchtet und seine Gebote beobachtet. Denn das ist der ganze
Mensch (Koh 12,13).
Die Vernunft
203. Die Vernunft aber ist, wie
sie von denen, die definieren, definiert wird, oder beschrieben wird von denen,
die beschreiben, "der Blick des Geistes, in dem er durch sich selbst,
nicht durch einen Körper die Wahrheit schaut, oder die Schau der Wahrheit
selbst", 36 oder die Wahrheit selbst, die geschaut wird, oder das
vernünftige Leben, oder der vernünftige Gehorsam (Röm 12,1), durch den man sich
der geschauten Wahrheit angleicht.
204. Die Überlegung
(ratiocinatio) aber ist ein Suchen der Vernunft, das heißt eine Bewegung ihres
Blickes durch die Dinge, die erblickt werden sollen. Die Überlegung sucht, die Vernunft
findet. Wenn dieser Blick die Sache, auf die er gerichtet ist, sieht, ist er
Wissen; wenn er sie nicht sieht, ist er Unwissenheit für den Menschen.
205. Das ist also die Vernunft:
sowohl Werkzeug, durch das sie wirkt, als auch Werk, das sie bewirkt. Sie übt
gerne ihre Tätigkeit im Bereich des Nützlichen und Ehrenhaften aus. Durch Übung
vervollkommnet sie sich, durch Trägheit aber ermattet sie in sich selbst.
Die Vernunft und Gott
206. Es gibt aber keine würdigere
und nützlichere Betätigung für den Menschen, der die Vernunft besitzt, als die,
die das einsetzt, was er als das Bessere besitzt, durch das er die übrigen
Lebewesen und die übrigen Teile seines Seins überragt, was eben sein Verstand
oder Geist ist. Für den Verstand aber oder für den Geist, dem das übrige Sein
des Menschen zur Leitung unterworfen ist, gibt es nichts Würdigeres zu suchen,
nichts Süßeres zu finden, nichts Nützlicheres zu besitzen als allein das, was
den Geist selbst überragt, was allein Gott ist.
207. Er ist nicht fern von einem
jeden von uns. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir (Apg
17,27-28). Wir leben aber im Herrn, unserem Gott, nicht wie in dieser Luft,
sondern im Glauben; in ihm bewegen wir uns, in ihm schreiten wir voran durch
die Hoffnung; in ihm sind wir, das heißt bleiben wir und sind wir gefestigt
durch die Liebe.
208. Von ihm nämlich und für ihn
ist der vernünftige Geist geschaffen, dass sich sein Verlangen auf ihn richtet
(Hld 7,10), dass er selbst sein Gut sei. Der Geist aber ist nur gut durch Teilnahme
an jenem Gut. Er ist nach dessen Bild und Ähnlichkeit geschaffen (Gen 1,26).
Das bedeutet, dass er, solange er hier lebt, dem durch die Ähnlichkeit so weit
als möglich nahekommen soll, von dem er sich nur durch die Unähnlichkeit entfernt;
dass er hier heilig ist, wie jener heilig ist (1 Joh 3,3) und in der Ewigkeit
selig sein wird, wie jener selig ist.
209. Schließlich ist allein das
groß und gut, wenn der große und gute Geist des Menschen zu dem aufblickt, was
über ihm ist, es bewundert und nach ihm verlangt, wenn das treu ergebene Abbild
sich bemüht, seinem Urbild ähnlich zu werden. Denn er selbst ist das Bild
Gottes und deswegen, weil er Bild ist, wird ihm das Verständnis zuteil, dass er
dem, dessen Bild er ist, anhangen 37 kann und muss.
210. Wenn er darum auch auf Erden
den ihm anvertrauten Körper leitet, liebt er es dennoch, mit dem besseren Teil
seiner selbst, nämlich mit seinem Gedächtnis, seinem Verstand und seiner Liebe
immer dort zu weilen, von wo er nach seiner Überzeugung alles, was er ist und
was er hat, empfangen hat (1 Kor 4,7). Und er darf hoffen - insofern in diesem
Punkt dem Menschen Hoffnung gegeben ist -, dass er auf ewig dort bleiben und
mit der vollen Gottesschau auch die volle Ähnlichkeit erlangen wird, wenn er es
nicht vernachlässigt, sein Leben der guten Hoffnung anzugleichen.
211. Darauf richtet sich sein
Blick, von dort ist er abhängig. Er verweilt mehr bei den Menschen deswegen, um
sie mit dem Leben Gottes zu beleben, um die göttlichen Dinge zu suchen und zu
erfassen, als um dieses sterbliche und menschliche Leben zu leben.
212. Wie er nämlich den Körper,
den er beseelt, in seiner natürlichen Haltung zum Himmel aufrichtet, der durch
seine Natur, seine Stellung und seine Würde alle Orte und Körper überragt, so
pflegt er, selbst von geistlicher Natur, sich immer zu dem aufzurichten, was im
geistlichen Bereich überragt, nämlich zu Gott und zu den göttlichen Dingen. Er
tut das nicht in stolzer Gesinnung, sondern in kindlicher Liebe, durch ein
nüchternes, gerechtes und frommes Leben (Tit 2,12). Je höher das ist, wonach
der Geist strebt, mit umso größeren Anstrengungen muss er sich üben. Diese
Übungen sollen ihn nicht äußerlich überströmen, sondern innerlich durchtränken.
Sie sollen ihn so ergreifen, dass sie ihn vollkommen machen.
II. Der Fortschritt des Vernunftgemäßen Menschen:
Das Leben in der Tugend
Die Studien des Vernunftgemäßen
213. Wenn diese Bemühungen auch
manchmal durch Bücher unterstützt werden und wenn man sich auch ihrer bedient, so
sind sie doch nicht literarischer Art. Es geht nicht um Spitzfindigkeiten,
Diskussionen und Geschwätz, sondern um ein geistliches Wissen, um friedliche
und demütige Übungen, die zu demütigen Menschen passen. Wenn diese Übungen auch
äußerlich ausgeführt werden, so ist es doch eher ein innerliches Tun im
geistigen Bereich, wo' der Mensch sich erneuert (2 Kor 4,16), wenn er den neuen
Menschen anzieht, der nach Gott geschaffen ist in der Heiligkeit und
Gerechtigkeit der Wahrheit (Eph 4,23-24).
214. Hier nämlich bildet sich der
Geist, hier formt sich die gute Einsicht für alle, die danach handeln (Ps
110,10). Hier werden wir nach der vom Apostel erteilten Weisung belehrt, "uns in allem als Diener Gottes zu
erweisen, durch große Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Mühen,
in Nachtwachen, im Gefängnis" der Zelle, "im Fasten, durch
Keuschheit, mit Weisheit, mit Langmut, mit Freundlichkeit, mit dem Heiligen
Geiste, mit ungeheuchelter Liebe, mit dem Wort der Wahrheit, mit der Kraft
Gottes, durch die Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, bei Ehre
und Schmach, bei schlechtem und gutem Ruf, als Verführer betrachtet und doch
wahrhaft, als unbekannt und doch bekannt, wie sterbend, und siehe wir leben,
als gezüchtigt und doch nicht getötet, wie betrübt und doch immer freudig, wie
arm und doch viele bereichernd, wie nichts habend und doch alles
besitzend" (2 Kor 6,4-10); "in Mühsal und Kummer, in Hunger und
Durst, in Kälte und Blöße" (2 Kor 11,27).
215. Das und anderes dieser Art
sind die heiligen Bemühungen, die Übungen, die der Apostel empfiehlt, in denen
der Geist allein mit Gott sich prüft, findet und bessert, sich reinigt von
jeder Befleckung des Fleisches und Geistes und die Heiligung in der Furcht
Gottes vollendet (2 Kor 7,1).
216. Diese Bemühungen lieben das Schweigen,
verlangen die Ruhe des Herzens in der Mühsal des Körpers, die Armut des Geistes
und den Frieden in den äußeren Bedrängnissen und ein gutes Gewissen in aller
Reinheit des Herzens und des Körpers. Diese machen den Geist zu dem, was er
ist, weil sie die Voraussetzungen dazu bieten. Jene eitlen, albernen, wortreichen,
streitsüchtigen, neugierigen und ehrgeizigen Taten aber zerstreuen und
verderben sogar einen Geist, der schon durchgebildet oder schon vollkommen ist.
217. Diese Bemühungen suchen
nicht sosehr die Blüten als die Wurzeln der Tugenden; es geht ihnen nicht
darum, zu scheinen, sondern zu sein; nicht darum, dass man sie bemerkt, sondern
dass man sie besitzt.
Die schlechten Gewohnheiten
218. Sie fürchten aber mehr die
lasterhaften Begierden in sich selbst als eine Bedrohung, die von außen kommt; mehr
die Ansteckung als die Bosheit. Wie nämlich die Tugenden manchmal durch große
Mühe und ausdauernden Eifer die Gefühle des Menschen bestimmen und ihm einen
guten Geist geben, so werden die' geringsten Fehler bei Gelegenheit einer etwas
freizügigen Nachlässigkeit zum Sauerteig und werden gleichsam natürlich.
219. Aber kein Laster ist
natürlich, während die Tugend für den Menschen natürlich ist. Dennoch pflegt
die Gewohnheit eines verdorbenen Willens oder einer eingewurzelten Nachlässigkeit
sehr viele Laster in einem vernachlässigten Gewissen gleichsam natürlich zu
machen. Denn die Gewohnheit ist, wie die Philosophen sagen, eine zweite Natur.
220. Dennoch kann die Bosheit
eines jeden menschlichen Geisteserweicht werden, bevor sie hart wird. Aber
auch, wenn sie hart geworden ist, braucht man nicht zu verzweifeln. Denn das
ist der Fluch Adams (Gen 3,17-19), sowohl auf dem Felde unserer Arbeit, als
auch auf dem Acker unseres Herzens oder Körpers, dass schädliche oder unnütze
Pflanzen von selbst überall hervorkommen, während nützliche, notwendige und
heilsame nur das Ergebnis unserer Arbeit sind.
221. Weil die Tugend aber eine
Sache der Natur ist, kommt sie nicht immer ohne Mühe, wenn sie in die Seele
kommt. Aber sie kommt an ihren eigenen Platz und sie bleibt dort in Treue. Die
Natur kommt gut mit ihr aus, weil es für sie keine größere Belohnung gibt, als
sich in Gott zu erkennen.
Die Laster
222. Vom Laster aber nimmt man
an, dass es nichts anderes sei als ein Fehlender Tugend. Dennoch hat man
manchmal den Eindruck, dass seine ungeheure Größe alles gleichsam überwältigt
und unterdrückt, seine Hässlichkeit alles beschmutzt und vergiftet, seine
Verbindung mit der Gewohnheit so hartnäckig ist, dass sich die Natur kaum von
ihm befreien kann.
223. Denn vergeblich sucht man
das Flussbett des Lasters auszutrocknen, wenn man nicht die Quelle verstopft.
Dafür ein Beispiel: Eine Nachlässigkeit des Willens bewirkt Leichtfertigkeit. Von dieser kommen Unbeständigkeit des
Geistes, ein wankelmütiger Charakter, eitle Freude, die oft zur Ausschweifung des
Fleisches verleitet, eine grundlose Traurigkeit, die manchmal eine Erkrankung
des Körpers zur Folge haben kann, und viele andere Übel, die vom Laster des
Leichtsinns kommen, und zu Nachlässigkeit und Übertretung der Regel führen. So
bläht auch ein gewohnheitsmäßig stolzer Wille den Geist auf während das Herz
oft in großem Elend bleibt. Davon kommen eitler Ruhm, Vertrauen auf sich, Missachtung
Gottes, Prahlerei, Ungehorsam, Verachtung, Anmaßung und andere Seuchen der Seele,
die aus der Geschwulst und aus der Gewohnheit des Stolzes hervor zufließen
pflegen.
224. Und auf diese Weise leiten
alle Arten von Lastern jeweils ihren Ursprung von einer Neigung des schlechten
Willens oder vom Zwang einer schlechten Gewohnheit her. Je angenehmer diese
Gewohnheit für den Geist ist und je tiefer sie verwurzelt ist, umso fester
haftet sie und sie bedarf stärkerer Heilmittel und verlangt eine aufmerksame
Sorge.
225. Denn die Seuchen derartiger
Laster verfolgen einen Einsiedler bis in die äußerste Einsamkeit. Und wie eine
sicher erworbene Tugend, die ein verlässlicher Besitz des Geistes ist, ihren
Besitzer auch in einer Menschenmenge nicht verlässt, so lässt eine lasterhafte
Gewohnheit, dem, der sie besitzt, auch in der größten Einsamkeit keine
Freiheit. Denn wenn die Gewohnheit nicht mit ausdauerndem Eifer und kluger
Anstrengung überwunden wird, kann sie zwar gemildert, aber kaum besiegt werden.
Und wie auch immer der Geist sich ordnet und in welcher Einsamkeit er auch
wohnt, die Gewohnheit bleibt und lässt die Ruhe und Stille des Herzens nicht
zu.
226. Je mehr diese Gewohnheit und
Willenshaltung in einem Menschen verwurzelt ist, umso schlimmer und
widerspenstiger ist das Übel in ihm. Es ist nicht so sehr eine geistige Bosheit,
als vielmehr ein vielfältiges Geschwür und eine harte Stelle des Körpers, ein
Zwang, wovon man sich gleichsam nur mit der Gewalt der Hände befreien kann.
Die Tugend
227. Aber kehren wir zum Lob der
Tugend zurück: Was ist Tugend? Sie ist eine Tochter der Vernunft, aber noch mehr
der Gnade. Denn sie ist eine Kraft, die aus der Natur kommt. Dass diese aber
Tugend ist, hat sie von der Gnade. Sie ist eine Kraft, die vom Urteil der
zustimmenden Vernunft kommt. Tugend aber ist sie aus dem Streben des erleuchteten
Willens. Denn die Tugend ist eine freiwillige Zustimmung zum Guten. Tugend ist
eine gewisse Gleichförmigkeit des Lebens, das in allem mit der Vernunft
übereinstimmt. Tugend ist der Gebrauch des freien Willens nach dem Urteil der
Vernunft. Die Demut ist eine Tugend, ebenso die Geduld. Tugenden sind Gehorsam,
Klugheit, Mäßigung, Tapferkeit, Gerechtigkeit und viele andere. Bei all diesen
ist die Tugend, wie gesagt, nichts anderes als der Gebrauch des freien Willens nach
dem Urteil des Verstandes.
228. Denn der gute Wille ist in
der Seele der Ursprung aller Güter und die Mutter aller Tugenden. So ist im
Gegenteil der böse Wille der Ursprung aller Übel und Laster. Daher muss ein
Mensch, der über seine Seele wacht, sehr sorgsam auf seinen Willen achten,
damit er klug erkennt und unterscheidet, was er ohne Einschränkung will oder
wollen soll, zum Beispiel die Liebe zu Gott, oder was er als Mittel wollen
soll, zum Beispiel die Liebe zur Berufung.
229. Wie man nämlich in jener
eine Maßlosigkeit nicht zu fürchten braucht, so muss man in dieser immer nach
der Regel des Gehorsams eine vorsichtige und kluge Mäßigung beachten.
230. Denn in der Liebe zu Gott
gibt es keine andere Berechnung und kein anderes Maß, als dass wir ihn wenn
möglich unbegrenzt lieben, 38 so wie er uns in seiner Liebe bis ans Ende liebte
(Joh 13,1), wie der glückliche Mann, der seine übergroße Freude an den Geboten
des Herrn hat (Ps 111,1).
Wille und Wahrheit
231. Aber wenn die Hingabe des
Liebenden auch kein Ende und keine Grenze haben darf, so muss doch das Tun des Handelnden
seine Grenzen, Schranken und Regeln kennen. Damit ein zu eifriger Wille nicht
irgendwie abirrt, muss die wachsame Wahrheit durch die Vermittlung des
Gehorsams immer anwesend sein.
232. Denn nichts trägt zum Wohle
des Menschen, der zu Gott unterwegs ist, mehr bei als Wille und Wahrheit. Denn diese
beiden sind gemeint, wenn der Herr sagt: "Wenn sie übereinstimmen, wird
ihnen von Gott Vater zuteil, was immer sie erbitten" (Mt 18,19).
233. Wenn diese beiden vollkommen
übereinstimmen, dann schließen sie die ganze Fülle der Tugenden in sich, ohne dass
sich ein Laster einschleichen könnte. Sie können alles, auch im schwachen
Menschen. Sie haben und besitzen alles, auch im Menschen, der nichts hat. Sie
geben, gewähren, sammeln und nützen bei dem Menschen, der in sich ruht. Ruhm
und Reichtum (Ps 111,3) sind im Gewissen jenes seligen Mannes. Sie kommen aus
den Früchten seines guten Willens. Nach außen aber umgibt ihn der Schild der
Wahrheit Gottes (Ps 90,5), nicht bloß auf einer Seite wie der Schild dieser
Welt, sondern auf allen Seiten. Der gute Wille macht ihn jederzeit froh und
glücklich in seinem Innern. In der äußeren Tätigkeit aber macht ihn die
Wahrheit ernst und ehrwürdig, sicher und sorglos. So überschreitet jener Mensch
menschliche Grenzen. Er lebt immer in Heiterkeit, wie man von jenem Wetter berichtet,
das oberhalb der Mondsphäre herrscht.
III. Die Vollkommenheit des Vernunftgemäßen Menschen:
Der Aufschwung des Willens
Die beiden Wege
234. Der Wille ist ein
natürliches Streben der Seele, das sich einerseits auf Gott und auf das Innere
des Menschen richtet, andererseits auf den Körper und auf die äußerlichen, körperlichen
Dinge.
235. Wenn der Wille nach oben
strebt, wie das Feuer an den ihm zukommenden Ort, das heißt, wenn er sich mit
der Wahrheit verbindet und sich zu Höherem erhebt, ist er verlangende Liebe
(amor). Wenn er, um gefördert zu werden, von der Gnade genährt wird, ist er
selbstlose Liebe (dilectio). Wenn er erfasst, festhält und genießt, ist er
göttliche Liebe (caritas), Einheit des Geistes (1 Kor 6,17) und Gott. Denn Gott
ist die Liebe (1 Joh 4,16). Wenn der Mensch darin eine Vollkommenheit erreicht
hat (Sir 18,6), ist er aber erst am Anfang, weil es in diesem Leben darin keine
Vollendung gibt.
236. Wenn der Wille sich aber zu
dem abwendet, was des Fleisches ist, ist er Begierde des Fleisches; wenn er
sich zur Neugierde der Welt verführen lasst, ist er Begierde der Augen; wenn er
nach Ruhm und Ehre strebt, ist er Hoffart des Lebens (1 Joh 2,16).
237. Doch solange er dabei dem
Nutzen oder der Notwendigkeit der Natur dient, ist er Natur oder ein Streben
der Natur. Wenn er sich aber auf das Überflüssige oder Schädliche verlegt, ist
er ein Laster der Natur oder des Willens selbst. Beim ersten Verlangen oder
Auftreten kannst du das an dir selber erkennen. Wenn der Wille in den Dingen,
die den Körper betreffen, oder in den Notwendigkeiten des Lebens beim ersten
Verlangen eine Grenze setzt, ist er ein natürliches Streben der Seele. Wenn er
aber im Verlangen nach immer mehr fortschreitet, verrät er sich selbst, weil er
dann nicht so sehr Wille als Laster des Willens ist, nämlich Habgier, Genusssucht
oder anderes dieser Art. Denn der Wille hat in diesen Dingen bald genug, den
Lastern des Willens ist aber nie etwas genug.
238. Wenn der Wille im
Geistlichen und in dem, was Gott betrifft, will, was er kann, und wenn er mehr
will, als er kann, ist er zu loben. Wenn er will, was er nicht kann, und wenn
er mehr will, als er kann, ist er zu leiten und zu zügeln. Wenn er nicht will,
was er kann, ist er aufzuwecken und anzuregen. Denn wenn er nicht gezügelt
wird, lässt er sich oft hinreißen und stürzt in die Tiefe. Wenn er nicht
aufgeweckt wird, schläft er oft, zögert und vergisst sein Ziel, und leicht
biegt er gleichsam zur Seite ab zu den Lockungen eines angebotenen Vergnügens.
Notwendige Zucht
239. Wie es beim Körper
gewöhnlich der Fall ist – der Körper eines Menschen wird von einem anderen
besser gesehen, als er sich selbst sehen kann - so ist es auch in diesen Dingen:
Ein fremdes Auge sieht uns oft besser als das eigene. Ein anderer, der nicht in
gleicher Weise von der Leidenschaft desselben Willens beseelt ist wie wir, ist
oft ein gerechterer Richter unserer Tat, weil wir entweder aus Nachlässigkeit oder
aus Eigenliebe bei uns oft in die Irre gehen.
240. Daher ist der Gehorsam ein
guter Wächter unseres Willens, sei es, dass er von einem Befehl oder einem Rat
abhängt, sei es, dass er Unterwerfung verlangt oder allein aus Liebe geübt wird.
Nach einem Wort des Apostels Petrus (1 Petr 1,22) reinigen nämlich die Söhne
des Gehorsams oft ihr Herz vollkommener und angenehmer, wenn sie sich im
Gehorsam der Liebe Gleichgestellten oder sogar Untergebenen unterwerfen, als
wenn sie sich im Gehorsam des Zwanges ihren Oberen unterwerfen. Denn im ersten
Fall befiehlt, rät oder gehorcht allein die Liebe. Der andere aber fürchtet
entweder die Strafe, oder es droht eine gebieterische Autorität und eine
furchterregende Notwendigkeit. Dort verdient der Gehorsam oft größeres Lob,
hier wird dem Ungehorsam immer eine schwerere Strafe angedroht.
241. Daher ist es allen klar, wie
notwendig für den Willen ein Wächter ist bei einem Menschen, der sein Herz nach
oben gerichtet hat, um sein äußeres Leben zu lenken, zu leiten und zu ordnen,
noch mehr aber wegen des inneren Lebens. Denn für eine Seele, die oft an sich
oder an Gott denkt, steht der Wille am Anfang eines jeden Denkens und der ganze
Verlauf des Denkens folgt notwendiger Weise dem Anfang des Willens.
Das Denken und die Gedanken
242. Drei Dinge sind es, die das
Denken bewirken: der Wille selbst, das Gedächtnis und der Verstand. Der Wille
zwingt das Gedächtnis, den Stoff hervorzuholen. Er zwingt den Verstand, das zu
formen, was hervorgeholt wurde. Er bezieht den Verstand auf das Gedächtnis,
damit es dadurch geformt werde. Er richtet die Sehkraft des Denkenden auf den
Verstand, damit dadurch das Denken erfolge. Weil der Wille diese Tätigkeiten zu
einer Einheit zwingt und mit einer gewissen leichten Bewegung miteinander
verbindet, scheint das Denken (cogitatio) von "zwingen" (cogere) den
Namen erhalten zu haben.
243. Daraus entstehen alle
Gedanken, einerseits die guten und heiligen, die Gottes würdig sind,
andererseits die schlechten und verkehrten, die von Gott trennen; wieder andere
ohne Verstand, das heißt unnütze und eitle, von denen sich Gott abwendet. Daher
heißt es nämlich: "Verkehrte Gedanken trennen von Gott" (Weish 1,3)
und: "Der Heilige Geist entfernt sich von unverständigen Gedanken"
(Weish 1,5).
244. Was diese Worte betrifft, muss
man beachten, dass man ohne jeden Verstand auf keinen Fall denken kann und dass
es grundsätzlich ein Denken ohne irgendeinen Verstand nicht gibt. Aber es gibt
ein Denken aus der Fähigkeit der natürlichen Vernunft und ein anderes aus der
Kraft des vernünftigen Geistes. Der Verstand ist gewiss derselbe. Er übt in
natürlicher Weise seine Tätigkeit aus, wohin auch immer er gerichtet ist, zum
Guten oder zum Bösen. Er erscheint aber anders, wenn er sich selbst überlassen
ist, und anders, wenn er von der Gnade erleuchtet ist.
245. Jener versagt sich nicht den
Dingen der Welt, weder den ernsten, noch den unnützen. Dieser aber wendet sich
nur den Dingen zu, die seiner würdig und ihm ähnlich sind. Jener wirkt oft, da
er sich selbst überlassen und vom Laster angesteckt ist, mit der Kraft der
Vernunft und unter dem Antrieb eines verdorbenen Willens und ersinnt verkehrte
Gedanken, mit denen er sich selbst, den Denkenden, freiwillig von Gott trennt.
Dieser aber ist immer erleuchtet, der Tugend zugetan und bewirkt Frömmigkeit,
welche den Denker mit Gott verbindet.
246. Die "unverständigen
Gedanken", die von der Schrift an zweiter Stelle genannt werden, sind jene
eitlen und unnützen Gedanken, die sich durch die Absicht des Denkenden auf
keine der beiden Formen des Verstandes beziehen. Sie zerstören nicht mit einem
Schlag, sondern verderben unvermerkt und allmählich. Sie beanspruchen Zeit,
behindern notwendige Tätigkeiten und vergiften den Geist. Sie sind nicht so
sehr Gedanken, als vielmehr gewisse Bilder von Gedanken, die sich aus wahren
oder vorgestellten Erinnerungen herleiten, oder selbst Erinnerungen, die
unwillkürlich und vielfältig aus dem Gedächtnis hervorsprudeln.
247. In diesem Fall scheint der
Wille eher passiv als aktiv zu sein, da dabei keine Absicht des Denkenden
vorliegt. Wenn sich das, was von selbst aus dem Gedächtnis heraufkommt, dem
unbekümmerten Verstand zur Formung anbietet, so scheint alles, was geschieht,
eher im Traume eines Schlafenden zu geschehen als in der Überlegung eines
Denkenden. Wenngleich es nicht in der Absicht des Denkenden liegt, den Heiligen
Geist von sich zu stoßen, so geschieht es dennoch durch die Schuld des
Nachlässigen, dass sich der Geist der Ordnung mit Recht von den ungeordneten Gedanken
entfernt.
248. Wenn diese Gedanken auch
durch eine gewisse verborgene Kraft der Vernunft hervorgerufen werden, so kommen
sie dennoch nicht aus der Vernunft und der Verstand wird zu ihnen gezogen, da
es zu ihnen keine Zustimmung des Erkennenden gibt. Wenn man aber ernsthaft über
ernste Dinge nachdenkt, ruft der Wille durch die freie Entscheidung der Vernunft
alles aus dem Gedächtnis hervor, was er benötigt, und wendet den formenden
Verstand dem Gedächtnis zu. Der Verstand wendet das Geformte, was immer es sein
mag, der Sehschärfe des Denkenden zu, und so wird die Tätigkeit des Denkenden
durchgeführt.
3. Kapitel:
Der geistliche Mensch
oder der Vollkommene
I. Vom Reich des Denkens zum Reich der Liebe
(Der Anfang des Geistlichen)
Eingreifen des Heiligen
Geistes
249. Wenn sich aper das Denken
auf das richtet, was von Gott kommt oder was zu Gott führt, und wenn der Wille
so weit voranschreitet, dass er Liebe wird, ergießt sich auf dem Weg der Liebe
sofort der Heilige Geist, der Geist des Lebens der alles belebt. Er hilft der
Schwäche des Denkenden ab, entweder im Gebet, in der Betrachtung oder im
Studium. Und sofort wird das Gedächtnis zur Weisheit (sapientia). Wenn ihm die
Güter des Herrn süß schmecken (sapiunt), und die Gedanken, die davon kommen,
wendet es dem Verstand zu, damit er sie in liebende Zuneigung umforme. Der
Verstand des Denkenden wird aber zur Beschauung des Liebenden. Diese formt
ihren Stoff um in gewisse Erfahrungen der geistlichen oder göttlichen Süßigkeit
und sie erfüllt mit ihnen den Blick des Denkenden. Dieser aber wird zur Freude
des Genießenden.
250. Und dann denkt man richtig
von Gott, nach menschlichem Maß, wenn man freilich das noch Denken (cogitatio) nennen
darf, wo nichts zwingt (cogit) und nichts gezwungen wird (cogitur). sondern wo
es in der Erinnerung an die Fülle der Süßigkeit Gottes (Ps 144,7) nur
Frohlocken und Jubel gibt und wo der eine wirkliche Erfahrung vom Herrn in
seiner Güte macht, der ihn in der Einfalt des Herzens gesucht hat (Weish 1,1).
251. Aber diese Weise, von Gott
zu denken, liegt nicht im Ermessendes Denkenden, sondern in der Gnade des
Schenkenden, wenn nämlich der Heilige Geist diesem Menschen seinen Hauch
mitteilt. Er weht, wo er will (Joh 3,8), wann er will und wie er will und für
wen er will. Aufgabe des Menschen ist es, beständig sein Herz zu bereiten (1
Sam 7,3; Sir 2,20; 2 Chr 12,14), indem er seinen Willen von fremden
Neigungen reinigt, die Vernunft
oder den Verstand von Sorgen, das Gedächtnis von müßigen, geschäftigen,
manchmal auch von notwendigen Beschäftigungen befreit. So sollen sich am guten
Tag des Herrn und in der Stunde des Wohlgefallens (Ps 68,14), wenn er das
Brausen des wehenden Geistes hört (Joh 3,8), alle Elemente, die das Denken
bewirken, sofort von selbst vereinigen, zum Guten zusammenwirken (Röm 8,28) und
gleichsam ein Bündel bilden, zur Freude des Denkenden. Der Wille stellt dann
eine reine Hinwendung zur Freude dar, die vom Herrn kommt. Das Gedächtnis
bietet einen zuverlässigen Stoff und der Verstand die Süßigkeit der Erfahrung.
Notwendige Beherrschung des
Willens
252. So bewirkt also der
vernachlässigte Wille müßige und Gottes unwürdige Gedanken; der verdorbene
Wille verkehrte Gedanken, die von Gott trennen; der aufrechte Wille notwendige Gedanken
zum Nutzen des Lebens; der fromme Wille wirksame Gedanken für die Früchte des
Geistes und für den Genuss Gottes. Die Früchte des Geistes aber sind, wie der Apostel
sagt: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Langmut, Güte, Wohlwollen, Sanftmut,
Treue, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit und Keuschheit (Gal 5,22.23).
253. Bei jeder Art von Gedanken
wird alles, was dem Denkenden begegnet, der Absicht des Willens
gleichgestaltet. Das geschieht durch das Wirken der Barmherzigkeit und der
Gerechtigkeit Gottes (Ps 100,1), damit der Gerechte noch gerechter und der
Unreine noch unreiner wird (Offb 22,11).
254. Daher muss der Mensch, der
Gott lieben will oder schon liebt, immer seine Seele überprüfen, sein Gewissen
erforschen, um zu erkennen, was er zur Gänze will, und weswegen er will, was
der Geist sonst will, oder weswegen er hasst, was das Fleisch im Gegensatzdazu
begehrt (Gal 5,17).
255. Denn die Wünsche, die
gleichsam von außen kommen, gehen und vorbeifliegen, so dass er bald will, bald
nicht will, sind keineswegs unter die Regungen des Willens zu zählen, sondern
beinahe unter die müßigen Gedanken. Denn wenn sie manchmal auch so weit gehen, dass
sie den Geist ergötzen so befreit sich der Geist, der seiner mächtig ist, doch
schnell von ihnen.
256. Um auf das zurückzukommen,
was er ganz will, muss er zuerst betrachten, was das ist, was er so will; dann
in welchem Maß und auf welche Weise er es will. Wenn das, was er ganz will,
Gott ist, muss er untersuchen, in welchem Maß und auf welche Weise er Gott
will, ob er ihn will bis zur Verachtung seiner selbst und aller Dinge, die sind
oder sein können; und das nicht nur durch das Urteil des Verstandes, sondern
auch aus der liebenden Neigung des Herzens, sodass der Wille mehr als Wille ist,
dass er verlangende Liebe (amor), selbstlose Liebe (dilectio). göttliche Liebe
(caritas) ist, dass er Einheit des Geistes ist.
Die Stufenleiter der Liebe
257. So muss man nämlich Gott
lieben. Ein starker Wille, der sich auf Gott richtet, ist verlangende Liebe
(amor). Die selbstlose Liebe (dilectio) ist Anhangen oder Vereinigung, die
göttliche Liebe (caritas) ist Genießen. Die Einheit des Geistes mit Gott ist
für den Menschen, der sein Herz nach oben gerichtet hat, die Vollkommenheit des
Willens auf dem Weg zu Gott. Er will dann nicht nur, was Gott will; er ist nicht
nur von Liebe erfüllt, sondern so vollkommen in seiner liebenden Zuneigung, dass
er nur wollen kann, was Gott will.
258. Wollen aber, was Gott will,
das bedeutet schon Gott ähnlich sein. Nur wollen können, was Gott will, das
bedeutet schon sein, was Gott ist, für den Wollen und Sein dasselbe ist. Daher
wird mit Recht gesagt, dass wir ihn dann ganz schauen werden, wie er ist, wenn
wir ihm ähnlich sein werden. (1 Joh 3,2), das heißt, wenn wir sein werden, was
er ist. Denen nämlich die Macht gegeben ist, Kinder Gottes zu werden (Joh
1,12), ist gewiss nicht die Macht gegeben, dass sie Gott sind, sondern dass sie sind, was Gott ist:
heilig und in Zukunft vollkommen selig, wie Gott. Die Heiligkeit in diesem
Leben und die Seligkeit im künftigen Leben haben sie nur von Gott, der ihre
Heiligkeit und Seligkeit ist.
Die dreifache Ähnlichkeit und
die Einheit mit Gott
259. Und das ist die ganze
Vollkommenheit: die Ähnlichkeit mit Gott. Nicht vollkommen sein wollen heißt
sich verfehlen. Daher muss man für diese Vollkommenheit den Willen beständig
nähren und die Liebe bereiten. Man muss den Willen daran hindern, sich an
fremde Dinge zu verlieren. Man muss die Liebe hüten, dass sie nicht befleckt
wird. Nur deswegen sind wir geschaffen worden und leben wir, dass wir Gott
ähnlich sind. Nach dem Bild Gottes sind wir nämlich geschaffen worden (Gen
1,26).
260. Es gibt aber eine
Ähnlichkeit mit Gott, die niemand ablegen kann, solange er lebt. Diese hat der
Schöpfer aller Menschen einem jeden
Menschen als Zeugnis für eine verlorene, bessere und würdigere Ähnlichkeit
hinterlassen. Diese besitzt jeder, ob er will oder nicht, sowohl der, der sie
erkennen kann, als auch der, der so stumpfsinnig ist, dass er sie nicht
erkennen kann. Sie besteht darin, dass, wie Gott überall ist und in seiner
Schöpfung überall ganz ist, so auch jede lebende Seele ganz in ihrem Körper
ist. Und wie Gott, der immer sich selber gleich ist, in seiner Schöpfung in
gleichbleibender Weise ungleiche Wirkungen hervorbringt, so bringt auch die Seele
des Menschen, wenngleich sie den ganzen Körper mit dem gleichen Leben belebt,
dennoch in den Sinnen des Körpers und in den Gedanken des Herzens in einer
gleichen Handlung beständig ungleiche Wirkungen hervor. Diese göttliche Ähnlichkeit
im Menschen ist, was das Verdienst betrifft, vor Gott von keiner Bedeutung, da
sie Eigenschaft der Natur ist und nicht eine Frucht des Willens oder der
Anstrengung.
261. Aber es gibt eine andere
Ähnlichkeit, die Gott näher kommt, insofern sie freiwillig ist. Sie besteht in
den Tugenden. Hier möchte die Seele durch die Größe der Tugend die Größe des
höchsten Gutes gleichsam nachahmen und, wenn die Beständigkeit im Guten
andauert, auch seine ewige Unveränderlichkeit.
262. Überdies gibt es aber noch
eine andere Ähnlichkeit mit Gott. Von dieser haben wir schon einiges gesagt.
Sie ist sosehr etwas ganz Eigenes, dass sie nicht mehr Ähnlichkeit, sondern Einheit
des Geistes genannt wird. Das ist dann der Fall, wenn der Mensch eins wird mit
Gott, ein Geist, nicht nur in der Einheit des gleichen Wollens, sondern in
einer Tugend, die viel ausdrücklicher und echter ist, wie wir schon gesagt
haben, die nicht mehr imstande ist, etwas anderes zu wollen.
263. Man spricht von einer
Einheit des Geistes, nicht nur weil sie der Heilige Geist bewirkt oder weil er
den Geist des Menschen ergreift, sondern weil diese Einheit der Heilige Geist selbst
ist, Gott, die Liebe. Weil er die Liebe des Vaters und des Sohnes ist, ihre
Einheit und Süßigkeit, ihre Güte und ihr Kuss, die Umarmung und was immer
beiden gemeinsam sein kann, so wird in dieser höchsten Einheit der Wahrheit und
Wahrheit der Einheit dasselbe dem Menschen im Hinblick auf Gott auf seine Weise
zuteil, wie in der gleichwesentlichen Einheit dem Sohn im Hinblick auf den
Vater und dem Vater im Hinblick auf den Sohn. Das selige Bewusstsein findet
sich dann gewissermaßen mitten in der Umarmung und im Kuss des Vaters und des
Sohnes. Wenn der Mensch Gottes in einer unaussprechlichen und unausdenkbaren
Weise verdient, zwar nicht Gott zu werden, aber doch das, was Gott ist, dann
ist der Mensch aus Gnade, was Gott von Natur aus ist.
Der Urheber der göttlichen
Vereinigung
264. Daher hat der Apostel in der
Aufzählung der geistlichen Übungen in kluger Weise den Heiligen Geist
eingefügt, wenn er sagt: "Durch Keuschheit, mit Weisheit, mit Langmut, mit
Freundlichkeit, mit dem Heiligen Geiste, mit ungeheuchelter Liebe, mit dem Wort
der Wahrheit, mit der Kraft Gottes" (2 Kor 6,6.7). Beachte also, wie er in
die Mitte dieser guten Tugenden, wie das Herz in die Mitte des Körpers, den Heiligen
Geist setzt, der gleichsam alles bewirkt, ordnet und belebt.
265. Er ist nämlich der
allmächtige Künstler (Weish 7,21), der den guten Willen des Menschen Gott
gegenüber hervorbringt, der die Versöhnung Gottes mit den Menschen bewirkt, der
die liebende Zuneigung ausbildet, die Tugend gewährt, der Tat Erfolg verleiht,
der alles machtvoll durchwaltet und in Milde ordnet (Weish 8,1)
266. Er selbst belebt den Geist
des Menschen und hält ihn zusammen, wie jener seinen Körper belebt und
zusammenhält. Die Menschen mögen lehren, Gott zu suchen, die Engel, ihn anzubeten.
Er allein lehrt, ihn zu finden, zu besitzen und zu genießen. Er ist die Sorge
dessen, der ihn richtig sucht, und die Frömmigkeit dessen, der ihn im Geist und
in der Wahrheit anbetet, die Liebe des Besitzenden und die Freude des Genießenden.
267. Was immer er aber auch hier
an Schau und Erkenntnis Gottes den Gläubigen zuteilt, ist dennoch nur Spiegel
und Rätsel (1 Kor 12,13), so weit von der künftigen Schau und Erkenntnis
entfernt, wie der Glaube von der Wahrheit entfernt ist, oder die Zeit von der
Ewigkeit, auch wenn manchmal eintritt, was wir im Buch Ijob lesen: "Er
verbirgt in seinen Händen das Licht und befiehlt ihm, dass er hinaufkomme, und
kündet seinem Geliebten, dass dies sein Besitz sei und dass er zu ihm
aufsteigen könne" (Ijob 26,32.33 LXX).
II. Von Klarheit zu Klarheit
oder die göttliche Beschauung
(Der Fortschritt des Geistlichen)
Gotteserscheinungen
268. Dem Auserwählten und
Geliebten Gottes wird nämlich manchmal
ein Strahl des Lichtes vom Antlitz Gottes gewährt, wie ein Licht, das in den
Händen verborgen ist, das sich zeigt oder unsichtbar ist nach dem Gutdünken des
Trägers, damit der Geist durch das, was er gleichsam im Vorübergehen und in
einem Augenblick sehen darf, nach dem vollen Besitz des ewigen Lichtes
entbrenne, nach dem Erbe der vollkommene Schau Gottes.
269. Damit er bis zu einem
gewissen Grad das erkennt, was ihm fehlt, berührt die Gnade manchmal gleichsam
im Vorübergehen den Sinn des Liebenden, entreißt ihn sich seiber und führt ihn
hin zu dem Tag, der ist 40, fern vom Lärm der Welt, zu den Freuden des
Schweigens. Da zeigt er sich ihm selbst (Ps 4,9) nach seinem Maß für einen
Augenblick, für einen Zeitpunkt, damit er ihn sehen kann, wie er ist (1 Joh
3,2). Inzwischen verwandelt er ihn auch zu dem, was er selbst ist, 41 damit er
nach seinem Maße sei, was Gott ist.
270. Sobald er verstanden hat,
was rein und unrein unterscheidet, wird er sich selber zurückgegeben, zu sich zurückgeschickt,
um sein Herz für die Schau zu reinigen, um seine Seele für die Ähnlichkeit zu
bereiten. So soll er, wenn er wieder einmal zugelassenwird, noch reiner sein
für die Schau, noch beständiger für den Genuss.
Die Reinigung der Seele
271. Denn nirgends begreift der
Mensch das Maß seiner Unvollkommenheit besser als im Lichte des Angesichtes
Gottes (Ps 4,7); im Spiegel der göttlichen Schau. Sobald er am Tag, der ist,
mehr und mehr sieht, was ihm fehlt, verbessert er von Tag zu Tag durch
Ähnlichkeit, was er durch Unähnlichkeit gefehlt hat. Durch Ähnlichkeit nähert
er sich ihm, von dem er sich durch Unähnlichkeit entfernt hat. So begleitet eine
immer deutlichere Ähnlichkeit eine immer deutlichere Schau.
Fortschritt in der Liebe
272. Es ist nun tatsächlich
unmöglich, das höchste Gut zu sehen und nicht zu lieben, oder nicht in dem Maße
zu lieben, als man es sehen durfte. Soweit sollte die Liebe voranschreiten,
dass sie eine gewisse Ähnlichkeit mit jener Liebe erreicht, die Gott dem
Menschen ähnlich machte in der Erniedrigung des menschlichen Schicksals, um den
Menschen Gott ähnlich zu machen in der Herrlichkeit der Teilnahme am göttlichen
Leben. Und dann ist es für den Menschen süß, sich mit der höchsten Majestät zu
erniedrigen, die Armut zu teilen mit dem Sohne Gottes, sich der göttlichen
Weisheit gleichzugestalten, von derselben Gesinnung erfüllt zu sein wie
Christus Jesus, unser Herr (Phil 2,5).
273. Das ist nämlich Weisheit mit
Frömmigkeit, Liebe mit Furcht, Frohlocken mit Zittern, wenn wir begreifen und
verstehen, dass Gott sich bis zum Tode erniedrigt hat, bis zum Tod am Kreuz
(Phil 2,8), um den Menschen zu erhöhen bis zur Ähnlichkeit mit Gott. Von hier
strömt das Wasser des Flusses, das die Stadt Gottes erfreut (Ps45,5), die
Erinnerung an die Überfülle seiner Güte (Ps 144,7), wenn wir seine Wohltaten an
uns verstehen und begreifen.
274. Wenn nun der Mensch das
Liebenswerte an Gott betrachtet oder schaut, wird er leicht zur Liebe Gottes
geführt. Denn durch sich selbst leuchten im Gemüt des Schauenden auf: seine
Macht, seine Stärke, Ehre, Majestät, Güte und Seligkeit. Dennoch zieht vor
allem das den Liebenden in geistlicher Weise zum Liebenswerten, dass er in sich
selbst all das ist, was an ihm liebenswert ist. Er ist ja ganz, was er ist,
wenn nur ein Ganzes da ist, wo es keinen Teil gibt.
Die Ruhe in Gott
275. Diesem Gut wendet sich die
fromme Zuneigung durch die Liebe zu diesem Gut selbst so zu, dass sie sich von
ihm nicht trennt, bis sie mit ihm eins oder ein Geist geworden ist. Wenn diese
Einigung in ihm vollkommen ist, wird er nur mehr durch den Schleier der
Sterblichkeit vom Allerheiligsten, von jener höchsten Seligkeit der
Himmlischen, getrennt und geschieden. Weil er sie doch schon im Glauben und in
der Hoffnung auf den, den er liebt, in seinem Bewusstsein genießt, erträgt er
auch, was von diesem Leben noch übrig ist, mit größerer Geduld.
III. Von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit
oder die Einheit mit Gott
(Vollkommenheit des Geistlichen)
Das Anhangen am Guten
oder die Gewohnheiten der
Tugenden
276. Und das ist das Ziel des
Kampfes in der Einsamkeit, das Ende, der Lohn und die Ruhe von den Mühen und
zugleich der Trost in den Schmerzen. Das ist auch die Vollkommenheit und die
wahre Weisheit des Menschen. Sie umfängt und enthält in sich alle Tugenden, die
nicht von anderswo entliehen, sondern in ihr gleichsam von Natur aus
eingepflanzt sind, nach jener Ähnlichkeit mit Gott, durch die er selbst ist, was
er ist. Wie nun Gott das ist, was er ist, so ist auch, was das Gut der Tugend
betrifft, die Gewohnheit des guten Willens so zu einer guten Gesinnung
gefestigt und gestimmt, dass sie infolge der glühendsten Anhänglichkeit an das
unveränderliche Gut anscheinend auf keine Weise mehr geändert werden kann von
dem, was sie ist.
Wissen und Weisheit
277. Wenn nun der Mensch von
Gott, dem Herrn, dem Heiligen Israels, unserem König (Ps 88,19) erhoben wird,
betrachtet der weise und fromme Geist durch die erleuchtende und helfende Gnade
in der Schau des höchsten Gutes auch die Gesetze der unveränderlichen Wahrheit,
soweit er es verdient, sie mit dem Verstehen der Liebe zu berühren, und schafft
sich aus diesen Gesetzen eine Art himmlischen Wandels (Phil 1,12), ein Ideal
der Heiligkeit. Er betrachtet nämlich die höchste Wahrheit und die Dinge, die
ihre Wahrheit von ihr ableiten; das höchste Gut und die Dinge, die durch es gut
sind, die Tiefe der Ewigkeit und was aus ihr hervorgeht. Jener Wahrheit, liebe
und Ewigkeit macht er sich gleich, während er sein Leben hier auf Erden führt.
Er erhebt sich nicht über sie durch sein Urteil, sondern schaut in Sehnsucht zu
ihnen auf, oder ist ihnen in liebe verbunden. Während er die geschaffene Welt
annimmt, passt er sich ihnen an, nach ihnen formt er sein Leben, aber nicht
ohne das Urteil der Unterscheidung, nicht ohne überlegende Prüfung und
vernünftiges Urteil.
278. Daraus werden die heiligen
Tugenden empfangen und geboren. Das Bild Gottes wird im Menschen erneuert und jenes
Leben Gottes wird geordnet, dem manche Menschen entfremdet sind, wie der
Apostel klagt (Eph 4,18). Und es wird die Kraft zur Tugend gewonnen, die beiden
Grundlagen, aus denen das kontemplative und aktive Leben 42 besteht, von denen
man nach alten Erklärern bei Ijob lesen kann: "Siehe Frömmigkeit ist
Weisheit, das Böse zu meiden, ist Wissen" (Ijob 28,28 LXX).
279. Die Weisheit ist nämlich
Frömmigkeit, das ist Gottesverehrung, Liebe, in der wir ihn zu erkennen
verlangen. Wenn wir ihn im Spiegel und im Rätsel sehen, glauben und hoffen wir,
dass wir soweit voranschreiten, dass wir ihn einmal in Offenheit schauen.
280. Das Böse aber zu meiden ist
Wissen um die zeitliche Wirklichkeit, in der wir leben. Dabei meiden wir soweit
das Böse, als wir nach dem Guten streben.
281. Auf dieses Wissen, auf diese
Enthaltsamkeit bezieht sich an erster Stelle die Übung aller Tugenden, an
zweiter Stelle auch die Schulung in allen Künsten dieses gegenwärtigen Lebens.
Das eine von beiden, nämlich die Übung der Tugenden, scheint eher die höhere
Wirklichkeit zu betreffen, die die Tugend einer höheren Weisheit offenbart und
süßen Duft ausströmt. Weil das andere mit körperlichen Übungen zu tun hat,
verliert es sich elend in der Eitelkeit der niedrigeren Dinge, wenn es nicht
durch das Band des Glaubens gehalten wird.
Erworbenes und angeborenes
Wissen
282. Weil im Übrigen das Wissen
eine Sache ist, die entweder mit dem Verstand oder mit den Sinnen des Körpers
erfasst und dem Gedächtnis anvertraut wird, so ist, wenn die Sache gut überlegt
wird, gerade das, was wir mit den Sinnen erfassen, auf jeden Fall dem Wissen zuzuordnen.
Was aber der Verstand durch sich selbst in diesen Dingen erfasst, das gehört schon
dorthin, wo Wissen und Weisheit aneinander grenzen.
283. Denn alles, was von
anderswoher aufgenommen wird, nämlich durch die Sinne des Körpers, das wird
gleichsam als etwas Fremdes und von außen Kommendes dem Geiste zugeführt. Was
aber von selbst in den Geist kommt, sei es durch die Kraft des Verstandes
selbst, sei es aus der natürlichen Erkenntnis der unveränderlichen Gesetze der
unveränderlichen Wahrheit - auch die gottlosesten Menschen urteilen deswegen manchmal
sehr richtig - das ist so in der Vernunft, dass gerade das die Vernunft selber
ist. Und es wird ihr nicht durch irgendeine Belehrung nahegelegt, dass es ein
Wissen ist, sondern sie erkennt entweder durch die Mahnung eines anderen oder
durch die eigene Erinnerung dieses Wissen als natürlichen Besitz.
284. Das zeigt sich vor allem
darin, dass das, was von Gott durch die natürliche Offenbarung bekannt ist, dem
Menschen offenbar wird, auch dem Gottlosen (Röm 1,19). Davon kommt eine
natürliche Neigung zur Tugend, von der ein heidnischer Dichter sagenkonnte:
"Die Guten hassen die Sünde aus Liebe zur Tugend" (Horaz epist I
16,52). Außerdem geschehen alle Unterscheidungen zwischen den Objekten der
Vernunft durch Untersuchung und Schlussfolgerung.
285. Die niedrigste Form des
Wissens, die nach unten gerichtet ist, ist die körperliche Erfahrung der
sinnlichen Dinge, die durch die fünf Sinne des Körpers gemacht wird, vor allem wenn
die Begierden des Fleisches, der Augen oder der Hoffart des Lebens ihren Kampf
beginnen (1 Joh 2,16).
Das vollkommene Leben
286. Wenn die der Weisheit
gleichgeformte Vernunft sich ein Gewissen bildet und das Leben ordnet, dann
sucht sie in den niederen Bereichen des Wissens die Unterwerfung und das
Genügen der Natur, im Bereich der Schlussfolgerung und des Denkens sucht sie
die Ordnung des Lebens, im Erlangen der Tugend formt sie ihr Gewissen. Vom
Niedrigen gefördert, vom Höheren
unterstützt, schreitet sie so voran zudem, was recht ist. Durch das Urteil des
Verstandes, durch die Zustimmung des Willens, durch die Zuneigung der Seele und
durch die Ausführung des Werkes beeilt sie sich aufzubrechen zur Freiheit des
Geistes und zur Einheit, damit, wie schon so oft gesagt wurde, der treue Mensch
ein Geist wird mit Gott (1 Kor 6,17).
287. Und das ist schon das Leben
Gottes, von dem wir ein wenig vorher gesprochen haben, das nicht sosehr ein
Fortschritt in der Vernunft ist, als vielmehr die vollkommene Liebe in der
Weisheit. Weil das dem Weisen "schmeckt", ist er ein Weiser. Weil er
ein Geist mit Gott wurde, ist er ein Geistlicher. Und das ist in diesem Leben
die Vollkommenheit des Menschen.
Die Einheit mit Gott
288. Denn wer bisher ein
Einsiedler oder einsam war, wird nun eins und die Einsamkeit des Körpers wird
für ihn verwandelt in die Einheit des Geistes. An ihm erfüllt sich, was der
Herr für seine Jünger in einer Zusammenfassung aller Vollkommenheit erbeten
hat: "Vater, ich will, dass, wie ich und du eins sind, so auch sie in uns
eins sind" (Joh 17,21-24).
289. Denn dies ist die Einheit
des Menschen mit Gott oder die Ähnlichkeit mit Gott. Je näher der Mensch Gott
kommt, umso mehr macht er den niedrigeren Teil der Seele mit sich gleichförmig,
und den niedrigsten Teil mit diesem. So sind Geist, Seele und Leib auf ihre
Weise geordnet, an ihren Platz gestellt, nach ihren Verdiensten beurteilt und
auch in ihrer Eigenart verstanden. So beginnt der Mensch sich vollkommen zu
erkennen und durch die Selbsterkenntnis voranzuschreiten und aufzusteigen zur Erkenntnis
Gottes.
Die Frucht der Einheit: Die
Erkenntnis Gottes
290. Sobald die Liebe des
Voranschreitenden beginnt, sich zu Gott zu erheben und nach ihm zu streben, muss
beim Gedanken an die Ähnlichkeit vor allem der Irrtum der Unähnlichkeit vermieden
werden, dass man nämlich beim Vergleich der geistlichen Dinge mit geistlichen,
der göttlichen Dinge mit göttlichen nicht anders denkt, als diese wirklich sind.
291. Wenn also der Geist an seine
Ähnlichkeit mit Gott denkt, muss er sein Denken vor allem in dieser Hinsicht
formen und gestalten, dass er ganz und gar vermeidet, sich selbst wie einen
Körper zu denken. Gott aber darf er sich nicht nur nicht wie einen Körper
denken, wie etwas Räumliches, sondern auch nicht wie einen Geist, wie etwas,
das sich ändern kann. Geistiges ist nämlich insofern von der Eigenschaft und Natur
der Körper verschieden, als es von jeder örtlichen Umgrenzung entfernt ist. Was
aber göttlich ist, überragt alles sosehr, sowohl Körperliches als auch
Geistiges, wie es frei ist von jedem Gesetz des Ortes oder der Zeit und von
jedem Verdacht auf Veränderlichkeit. Es bleibt unveränderlich und ewig in der
Seligkeit seiner Unveränderlichkeit und Ewigkeit.
292. Wie nun der Geist Dinge, die
körperlich sind, durch die Sinne des Körpers unterscheidet, so kann er die
Dinge, die vernunftgemäß oder geistig sind, nur durch sich selbst unterscheiden.
Was aber die Dinge Gottes angeht, kann er ein Verstehen nur bei Gott suchen
oder erwarten. Freilich ist es bei manchen Dingen, die Gott betreffen, dem Menschen,
der einen Verstand hat, erlaubt oder möglich, manchmal an sie zu denken und sie
zu erforschen, wie die Süßigkeit seiner Güte, die Größe seiner Macht und
anderes dieser Art. Er selbst aber, der selbst ist, was er ist, kann überhaupt
nicht gedacht werden, außer insoweit er mit dem Sinn der erleuchteten Liebe
berührt werden kann.
293. Dennoch müssen wir an Gott
glauben und, soweit der Heilige Geist unserer Schwachheit zu Hilfe kommt (Röm
8,26), müssen wir ihn uns vorstellen als ewiges Leben, lebendig und Leben
spendend; als den, der unveränderlich ist und alles Veränderliche hervorbringt,
ohne sich zu verändern; der versteht und jeden Verstand und Verstehenden
erschafft; als Weisheit, die jeden weise macht; als feste, bestehende und
unbeugsame Wahrheit, von der alles wahr ist, was wahr ist, in der von Ewigkeit
die Ursachen aller zeitlich hervorgehenden Dinge sind.
294. Für ihn ist das Leben sein
Wesen selbst, seine Natur; lebendiges Leben ist er für sich selbst. Das ist für
ihn die Gottheit selbst, die Ewigkeit, Größe, Güte und Macht, die in sich
selbst ist und besteht, jeden Ort überschreitend kraft seiner nicht
ortsgebundenen Natur und durch seine Ewigkeit jede Zeit, die mit dem Verstand
oder durch eine Vorstellung erfasst werden kann. Das ist viel wahrer und
überragender, als man es in irgendeiner Weise des Denkens denken kann; aber dennoch
ist es mit größerer Sicherheit durch den Sinn einer demütigen und erleuchteten
Liebe zu erreichen, als durch irgendein Denken des Verstandes. Er ist immer
besser, als man denken kann. Dennoch kann man leichter von ihm denken als von
ihm sprechen.
295. Dieses Leben ist das höchste
Sein, von dem jedes Sein hervorgeht. Es ist die höchste Substanz, nicht
sprachlicher Aussage unterworfen, sondern zugrunde liegendes, ursächliches Prinzip
aller Dinge. In ihm stirbt unser Sein nicht, unser Verstand irrt nicht und
unsere Liebe geht nicht fehl. Immer wird er gesucht, um süßer gefunden zu
werden. Am süßesten wird er gefunden, um mit größerer Aufmerksamkeit gesucht zu
werden.
Abschluss: Aufruf zur Demut
296. Wer also dieses
unaussprechbare Sein sehen will - nur unaussprechbar kann es gesehen werden -
soll sein Herz reinigen. Denn nicht kann es durch körperliche Ähnlichkeit von
einem Schlafenden, durch körperliche Gestalt von einem Wachenden, durch
irgendein Forschen des Verstandes, sondern nur vom reinen Herzen eines demütig
Liebenden gesehen oder erfasst werden.
297. Das ist nämlich das
Angesicht Gottes. Niemand kann es sehen und zugleich für die Welt leben. Das
ist die Schönheit, die jeder zu schauen wünscht, der danach trachtet, Gott, seinen
Herrn, mit ganzem Herzen zu lieben, mit ganzer Seele, mit seinem ganzen Gemüt
und mit allen seinen Kräften (Dt 6,5; Mt 22,37; Mk 12,30; Lk 10,27). Er hört
auch nicht auf, seinen Nächsten dazu aufzufordern, wenn er ihn liebt wie sich selbst
(Mk 12,31).
298. Wenn er manchmal zu dieser
Schau zugelassenwird, sieht er im Lichte der Wahrheit selbst unzweifelhaft die
zuvorkommende Gnade. Wenn er von hier zurückgewiesen wird, erkennt er selbst in
seiner Blindheit, dass seine Unreinheit mit der Reinheit Gottes nicht
zusammenstimmt. Und wenn er liebt, ist es für ihn süß zu weinen und ohne viel
Seufzen fühlt er sich gezwungen, zum Wissen um sich selbst zurückzukehren.
299. Gott zu begreifen, sind wir
ganz und gar unfähig. Aber er, den wir lieben, vergibt uns. Und obwohl wir
bekennen, dass wir von ihm weder würdig sprechen noch über ihn würdig denken
können, werden wir dennoch durch seine Liebe aufgerufen und angetrieben, von
ihm zu sprechen und über ihn nachzudenken.
300. Darum muss der Denkende sich
in allen Dingen demütigen und in sich dem Herrn, seinem Gott, die Ehre geben. Er
muss in der Schau Gottes sich selber gering werden, sich in der Liebe zu seinem
Schöpfer jedem menschlichen Geschöpf unterwerfen (1 Petr 2,13), seinen Körper
als heiliges, lebendiges, Gott wohlgefälliges Opfer darbringen, als seinen geistigen
Gottesdienst (Röm 12,1). Vor allem aber soll er nicht weiser sein, als es sich
geziemt, sondern weise sein in Nüchternheit, nach dem Maß des Glaubens, das ihm
von Gott gegeben ist (Röm 12,3). Er soll das Gute seines Lebens nicht vor den
Menschen zur Schau stellen, sondern in seiner Zelle verheimlichen und in seinem
Gewissen verbergen. Und dieses Wort soll er immer wie eine Aufschrift über
seinem Gewissen und über seiner Zelle haben: "Mein Geheimnis ist bei mir, mein
Geheimnis ist bei mir" (Jes 24,16).
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