Freitag, 31. August 2012

Goldener Brief 201


201. Der Wille aber wird befreit, wenn er Liebe wird, wenn die Liehe Gottes ausgegossen wird in unseren Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben wird (Röm 5,5). Und dann ist die Vernunft wirklich Vernunft, das heißt eine Haltung des Geistes, die in allem mit der Wahrheit übereinstimmt. Wenn nämlich der Wille durch die befreiende Gnade befreit ist und der Geist durch die freie Vernunft geleitet zu werden beginnt, dann ist er Herr seiner selbst, das heißt, er gebraucht sich selber in Freiheit, er wird Geist (animus) und guter Geist (bonus animus). Geist, insofern er sein Lebewesen (animal) gut belebt (animans) und vollendet durch die Ergänzung der freien Vernunft. Gut aber, insofern er schon sein eigenes Gut liebt, durch das er gut wird und ohne das er weder gut noch Geist sein kann.

Donnerstag, 30. August 2012

Goldener Brief 200


200. Denn zur Strafe für die Sünde und zum Zeugnis für die verlorene natürliche Würde ist ihm die Entscheidungsfähigkeit gelassen, wenn auch als eine gefangene, als ein Zeichen. Er kann sie auch vor der Bekehrung und Befreiung des Willens niemals zur Gänze durch irgendeine Abkehr des Willens verlieren. Auch wenn er sie missbraucht, indem er das Böse an Stelle des Guten wählt, ist er durch sie, wie gesagt, besser und würdiger als die ganze materielle Schöpfung, sowohl in sich, als auch in der Kunst der schöpferischen Wahrheit.

Mittwoch, 29. August 2012

Goldener Brief 199


199. Denn der Geist des Menschen ist geschaffen mit Scharfsinn im Streben nach dem Guten und mit einer Natur, bereit zur Tat. Er steht an der Spitze der von der schöpferischen Weisheit geschaffenen Dinge. Er überragt die materielle Schöpfung, ist leuchtender als jedes körperliche Licht und würdiger, weil er ein Abbild des Schöpfers ist und fähig, die Vernunft aufzunehmen. Dennoch wurde er, verstrickt in die Sünde des fleischlichen Ursprungs, Sklave der Sünde und gefangen genommen unter dem Gesetz der Sünde, das in den Gliedern ist (Röm 7,23). Dennoch verlor er nicht gänzlich die Entscheidungsfähigkeit, das heißt das Urteil des Verstandes, das abschätzt und unterscheidet, wenngleich er seine Freiheit im Wollen und Tun verloren hat.

Dienstag, 28. August 2012

Goldener Brief 198


Die vernunftbegabte Seele

198. Die Seele (anima) ist ein unkörperliches Wesen, fähig der Vernunft und dazu bestimmt, dem Körper Leben zu geben. Sie bewirkt, dass die Menschen beseelt sind (animales), Geschmack finden an den Dingen des Fleisches und von den Sinnen des Körpers abhängig sind. Sobald die Seele aber beginnt, nicht nur empfänglich für die vollkommene Vernunft zu sein, sondern ihrer auch teilhaftig, legt sie sofort das Zeichen des weiblichen Geschlechtes ab und wird der Geist (animus), der an der Vernunft teilhat, der geeignet ist, den Körper zu leiten, der sich selbst besitzt. Solange er noch Seele ist, wird er schnell weiblich, indem er sich dem zuwendet, was fleischlich ist. Der Geist aber trachtet nach dem, was männlich oder geistlich ist.

Montag, 27. August 2012

Goldener Brief 197


197. Wie also im Fortschritt des religiösen Lebens – wir haben oben schon davon gesprochen - der sinnenverhaftete Mensch über seinen Körper wacht, um das äußere Leben zu ordnen und für die Übung der Tugend zu bereiten, so muss der verstandesmäßige Mensch sich um den Geist kümmern, ihn hervorbringen, wenn er noch fehlt, ihn ausbilden und ordnen, wenn er schon vorhanden ist. Vor allem muss man überlegen, wer oder was der Geist selbst ist, den die Vernunft zu einem vernünftigen macht; dann, was die Vernunft selbst ist, die ein sterbliches Lebewesen, dadurch dass sie es vernünftig macht, zu einem Menschen macht. Aber zuerst müssen wir von der Seele sprechen.

Sonntag, 26. August 2012

Goldener Brief 196


196. Wenn die Vernunft voranschreitend zur Liebe emporsteigt und die Gnade zum Menschen der Liebe und Sehnsucht herabsteigt, dann geschieht es oft, dass Vernunft und Liebe, die diese beiden Stufen bewirken, eins werden, und auch das, was von ihnen bewirkt wird, nämlich Weisheit und Wissen. Und sie können nun nicht mehr getrennt behandelt oder gedacht werden, da sie schon eins sind und das Ergebnis einer Tätigkeit und einer Tugend sind, sowohl im Verstehen des Erkennenden, als auch in der Freude des Genießenden. Wenngleich der eine vom andern zu unterscheiden ist, muss dennoch, wenn die Sache sich so darbietet, der eine mit dem andern und im andern gedacht und behandelt werden.
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