Samstag, 31. Mai 2014

Ein Kartäuserleben - (3/4)


Die Krise

Nach Jahren traf ihn plötzlich eine Krise.
Ob in der Zelle oder auch im Chor –
das Leben kam ihm trist und mühsam vor
und keine Phase je so schwer wie diese.

Er saß da wie gefangen im Verliese
und Gott schien fern. Er zweifelte und fror
und klammerte, weil er den Mut verlor,
sich an den Ordens-Wahlspruch* als Devise.

In kurzen Nächten fand er keinen Schlaf.
Er wälzte sich auf seinem harten Lager
und fühlte sich als Schwächling und Versager,

den ganz zu Recht das Urteil Gottes traf.
Er konnte seine Ohnmacht selbst nicht fassen
und rang mit sich, den Orden zu verlassen.

Wahlspruch des Kartäuserordens:
Stat crux dum volvitur orbis 
(Das Kreuz steht fest, während die Welt sich dreht).

© Arnd Herrmann

Freitag, 30. Mai 2014

Ein Kartäuserleben - (2/4)


Der Eintritt

In der Klausur betrat er eine Welt,
die er bis dahin so nicht wirklich kannte.
Indem sie die Geräusche strikt verbannte,
war sie dem Vorhang ähnlich, wenn er fällt.

Er war nun ganz auf sich allein gestellt,
damit er sich bewusst nach innen wandte
und nur für Gott in seiner Seele brannte,
der sich den Sinnen meist verborgen hält.

Die große Stille legte wie ein Kleid
sich um ihn, der im Dunkel saß und lauschte.
Und immer tiefer nahm die Einsamkeit

von ihm Besitz, derweil die Zeit verrauschte.
Ihm war es recht. Denn er begehrte nichts
als einen Widerschein vom Quell des Lichts.

© Arnd Herrmann

Donnerstag, 29. Mai 2014

Ein Kartäuserleben - (1/4)


Der Entschluss

Die Eltern reagierten mit Bedauern
und hofften erst, sie hätten sich verhört.
Die Freunde waren regelrecht empört:
Was wollte er bloß hinter Klostermauern?

Dort würden Angst und Langeweile lauern!
Schon mancher habe so sein Glück zerstört!
Ein Leben ohne Frauen, ohne Flirt -
da müsse doch ein junger Mann versauern!

Er ließ sie reden. Denn er war gewiss,
dass er dem Ruf des Herzens folgen sollte
und Gott ihn ganz – und zwar für immer – wollte.

Auch wenn der Abschied ihn dann fast zerriss:
Er war bereit, entfernt vom Weltgetriebe,
für die Geschichte einer großen Liebe.

© Arnd Herrmann

Mittwoch, 28. Mai 2014

Keine weitere Ausführungen

Doch will ich darüber keine weiteren
Ausführungen machen,
auf daß kein ungeschicktes und ungebildetes Wort
bei Dir, der Du an höfisch-kuriale Umgangsformen
gewöhnt bist, Anstoß erregt.
Möge der Brief also ein Ende und
einen begrenzten Umfang haben,
was aber für meine Zuneigung zu Dir
keineswegs zutrifft.

Guigo, Brief an einen Freund, Über das eremitische Leben


Dienstag, 27. Mai 2014

Es ist erforderlich zu beginnen

Wenn dies aber gut begonnen,
leicht durchgeführt und glücklich
vollendet werden soll, so ist es, bitte,
für eine solche durch und durch
richtige Angelegenheit, wie sie Dir
die göttliche Gnade anbietet, erforderlich,
allen Eifer einzusetzen.
Ich überlasse es aber Deiner Sorgfalt,
darüber zu entscheiden,
wo und wann Du dies durchführen willst.
Eine Waffenruhe einzugehen
oder einen Aufschub anzustellen
halte ich keineswegs zuträglich für Dich.

Guigo, Brief an einen Freund, Über das eremitische Leben


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