Freitag, 17. Juli 2015

Annäherung an die Kartause La Valsainte (5/6)

Warum wird man Mönch und dann ausgerechnet Kartäuser? „Nichts mehr wollen, nichts mehr wissen, nichts mehr besitzen, außer Gott, das ist das wahre Leben." So die Devise. Raffael ist 36 Jahre alt. Seit vier Jahren ist er hier, vorher war er neun Jahre bei den Franziskanern. „Die ersten zwei Jahre waren Leiden und schwere Einsamkeit. Nach und nach verspürte ich die Nähe zu Gott immer tiefer. Jetzt weiß ich, daß es Gottes Bestimmung war, an diesem Platz zu bleiben."

Die Antwort von Christoph auf meine Frage, warum er Kartäuser ist, geht ein wenig weiter: „Meine Sehnsucht nach Freiheit erfüllt sich hier." Ob er Freiheit vom gewöhnlichen Alltag meint?


Brudermönch verteilt das Mittagessen. La Valsainte.
Kartäuser leben „alternativ". Doch nicht wegen irgendwelcher Zeitströmungen, sondern aus ihrer traditionellen Ordensregel heraus. Die Speisen sind einfach und bekömmlich. Fleisch und Wurst gibt es nie. Fast alles ist selbst gemacht: Das Brot und der Most, die Butter und der Käse; Salate, Gemüse, Kräuter stammen aus dem Garten, Wasser aus den Bergen, Milch, Honig, Weizen aus Feld und Flur. Die täglichen Mahlzeiten verzehrt jeder für sich allein in der Zelle. Sie werden durch einen Schalter neben der Tür gereicht, ohne Blick- und Wortkontakt. Nur an Sonn- und Feiertagen wird gemeinsam gegessen. Schweigend.

Der große Speisesaal liegt neben dem kleinen Kreuzgang (Galilaea minor), der den Eremitentrakt mit den Gemeinschaftsräumen und den Zellen der Laienmönche verbindet. In der Mitte liegt die Kirche. Vom kleinen Kreuzgang gelangt manzu dem großen, von dem aus die Enklaven der Einsiedler erreicht werden. Neben jeder Enklave befinden sich eine Ziehglocke und der Essensschalter. Im Innern gelangt man über einen kurzen Wandelgang in einen Vorraum, erst dann in das Wohngemach der Mönche. Grobe Holzdielen, kahle Wände, vielleicht mal ein kleines Bildnis eines Heiligen oder die Kopie einer Ikone. Spartanisch einfach die Einrichtung. Ein grober Holztisch, fast unbearbeitet, Gebets- und Meditationsnische mit Kniepult und Sitz, das alkovenartige Bett, einfache Wascheinrichtung, ein Bücherregal, der eiserne Holzofen.

Das Holz für den Ofen sägen und hacken die Eremiten selbst in einer unter dem Wohnraum liegenden Werkstatt. Von hier gelangt man in den kleinen Garten, der zu jeder Zelle gehört. Gärtnern dient der Entspannung des Geistes, auch das Arbeiten in der Werkstatt. Umgeben ist das Grundstück von einer fünf Meter hohen Mauer - Garantie für völlige Einsamkeit. Nur einmal die Woche wird sie aufgehoben: sonntags, beim gemeinsamen Spaziergang. Dann dürfen die Mönche auch miteinander reden.

Für Schlaf bleibt selten mehr als fünf Stunden Zeit. Das Leben ist geordnet im festen Rhythmus der Ordensregel. Bruder Rene empfindet das nicht als Zwang. „Innerhalb der Regel findest du deine Zeit, ohne hinter ihr herzulaufen." Doch all diese Vorschriften? „Hast du denn keine? Das fällt hier nur so auf, weil wir sie einhalten. Zähl mal die Vorschriften, die dein Leben regeln!" Er hat recht. Vielleicht merken wir die Regeln nicht so, weil wir meist versuchen, sie zu umgehen. Rene schmunzelt: „Ich muß jetzt zum Kahlschlag." Auch das gehört zur Absage an die Eitelkeit. Einmal im Monat wird allen der Kopf geschoren. Nur Barte dürfen wachsen, von ihnen steht nichts in der Regel.

(Text: Hans-Dieter Zinn, iwz-Stuttgart, 1986)

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