Montag, 9. November 2015

Das Menschliche

IL205-Z.20.1

Aber wie gelingt das? Kann die Seele dahin gelangen, jede Befriedigung zu vergessen und rein für Gott zu leben, ohne Umkehr zum persönlichen Interesse? Darin liegt ein großes Geheimnis, und es ist wichtig, es zu erklären, damit die Abwege des Quietismus vermieden werden. Es ist ein Geheimnis des Lebens und des Todes. Etwas muss in mir sterben, um wieder aufzuleben.
Was muss sterben? –
Das Menschliche.
Was ist das Menschliche?
Das, was in mir von Gott getrennt ist. Es ist das Suchen meines Ich außer Gott, es ist das Haften-Bleiben am Geschaffenen, es ist meine von der Tätigkeit Gottes unabhängige Tätigkeit, es ist mit einem Wort das, was in mir leibt und lebt und dabei nicht durch das göttliche Leben berührt, belebt und geleitet wird. Es ist das, was ihm entgegen ist.

Und warum muss das sterben? –
Weil ich für Gott gemacht bin, weil mein Leben in der Einswerdung mit Gott besteht, und weil alles, was mich von ihm trennt, verschwinden muss.

Wie weit muss sich also jene Tätigkeit, die in der mystischen Sprache mit Entsagung, Vernichtung, Tod usw. bezeichnet wird, erstrecken? – Sie muss sich auf alles, was mich von Gott trennt, erstrecken. Es handelt sich dabei weder um eine Zerstörung meiner Seele, noch meines Leibes, noch meiner Fähigkeiten, noch meiner Kräfte, noch meiner Werkzeuge. Es ist vielmehr ihre Reinigung durch die Zerstörung eines gewissen klebrigen Stoffes, der mich an die geschaffenen Dinge fesselt, und mich von Gott fern hält. Es ist die Befreiung meines Wesens durch das Zerreißen der Bande, die mich an das, was in der Niederung ist, fesseln. Was zerbrochen, vernichtet, zerstört werden muss, ist nicht meine Person, das sind die Bande. –
Ich muss frei werden.

(Dom François de Sales Polien, IL, 20151109)


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