Mittwoch, 19. Januar 2011

Paul Badde besucht die Kartause Marienau, 2


(Badde, Marienau 2)

Sind sie archaisch? Zeitlos? Gewiss verkörpern sie wie kaum jemand sonst eine ungebrochene Tradition. Alle zwei Jahre wird ihr Orden in sogenannten Generalkapiteln neuen Herausforderungen und Erfordernissen immer wieder behutsam angepasst, doch alle großen Krisen haben die Kartäuser nie zu einer Anpassung an den Zeitgeist bewegen können. Sorgen um den Nachwuchs kennen sie in Deutschland nicht. Natürlich tragen sie Armbanduhren unter den langen Ärmeln ihrer groben weißen Kutten, sind wohlinformiert über die Welt außerhalb der Mauern und haben keine Scheu vor technischen Hilfsmitteln aller Art (wo bestimmte Arbeiten danach verlangen). Doch sonst ist unter ihnen mehr oder weniger fast alles gleich geblieben seit den Tagen des heiligen Bruno von Köln, der ihren Orden im 11. Jahrhundert gegründet hat. Darum gibt es bei ihnen weder Sommerzeit  noch Winterzeit, nur Zeit pur. Doch der kostbarste Stoff unseres Lebens ist ihnen nur ein Vorspiel zur Ewigkeit. "Feiern Sie denn auch noch die Tridentinische Messe?", wollen wir von Bruder Theodor wissen. Der Pförtner lächelt. "Wir haben eine eigene, wir haben die kartusianische Liturgie. Die ist noch einmal gut 450 Jahre älter als der Tridentinische Ritus. Die Liturgiekonstitution des letzten Konzils hat daran fast nichts geändert." Bruder Theodor kommt aus Nordholland. "Wart ihr das nicht, die den heiligen Bonifatius erschlagen haben", fragen wir, „den Apostel der Deutschen?“. Jetzt lacht er laut. "Ja, das waren wir. Darum bin ich wahrscheinlich auch hier." Hier, in dem ummauerten Gelände in einem riesigen Wald, ist der alte Schneider schon seit über vierzig Jahren.

Ja, sie gelten als der strengste Orden der katholischen Kirche. Doch Heiterkeit und Humor sind das Erste, was wir bei ihnen notieren möchten - und das Spiel des Lichts im Schatten ihrer Kreuzgänge und der offene Himmel über ihren Gärten. Wer das einmal möchte, sollte nach Buxheim ins Allgäu kommen, bei Memmingen, wo eine ehemalige Kartause in ein Museum umgewandelt wurde, deren Architektur auch 200 Jahre nach der Vertreibung der Kartäuser noch immer Licht von ihrem Geheimnis wie in einem Bernstein verwahrt. Es ist eine der heitersten Rokoko-Anlagen Süddeutschlands. Dominikus Zimmermann hat hier an einem Winkel des Kreuzgangs eine "kleine Wies'" geschaffen, eine winzige Kapelle, wo der Auferstandene über dem Altar als Kind und Sieger in den hellen Goldgrund des Himmels fährt. Es ist ein einziges Leuchten in diesem Kleinod - und eine sagenhafte Großzügigkeit, wo jedem Mönch für seine Zurückgezogenheit ringsum den Kreuzgang nicht nur eine Zelle, sondern ein eigenes Häuschen zur Verfügung steht: darin ein Vorraum mit einem Bild oder einer Statue Marias (die die eigentliche Herrin des Ordens ist), ein Raum mit Arbeits- und Esstisch, eine Gebetsnische, daneben ein Strohbett. Dahinter eine Werkstatt, mit dem Holz für den Winter, das jeder Mönch selbst zersägt und hackt, eine Werkbank, und ein ummauerter Garten zur eigenen Gestaltung - und all dies für nur eine Person! Wer will, zeigt sich hier, könnte die Kartäuser also auch als Erfinder des Eigenheims betrachten. Das Essen wird ihnen mittags von Kartäuserbrüdern, die einem anderen Tagesplan folgen, durch einen Schalter neben der Tür in das kleine Reich hineingereicht. Die gegliederten Räume entsprechen fast spiegelbildlich ihrer gegliederten Zeit. Jeden Montag gehen sie zusammen im Wald spazieren, in lebhaftem Gespräch. Essen sie am Sonntag und anderen Hochfesten hingegen gemeinsam, sind sogar Löffel und Gabel aus Holz, damit kein Klappern in den "Gamellen", in denen das Essen serviert wird, ihr Lauschen der Tischlesung stört.

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