Mittwoch, 31. August 2011

Scala paradisi, 20


Die Seele begreift also, dass sie
den ersehnten Genuss der Erkenntnis
und der Erfahrung nicht aus eigener Kraft
erlangen kann. Je höher sie sich erhebt,
 umso ferner erscheint ihr der Herr.
Dann demütigt sie sich, nimmt ihre Zuflucht
zum Gebet und ruft: Herr,
nur die können dich schauen, die
ein reines Herz haben.
Ich suchte in der Lesung und in der Meditation,
was die wahre Herzensreinheit ist
und wie man sie erlangen kann,
damit ich dich wenigstens ein bisschen besser erkenne.

Ich suchte dein Angesicht, Herr,
dein Angesicht habe ich gesucht. (Ps 27,8)


(IV) Videns autem anima quod ad desideratam cognitionis et experientiæ dulcedinem per se non possit attingere, et quanto magis ad cor altum accedit, tanto magis exaltatur Deus, humiliat se, et confugit ad orationem, dicens: Domine qui non videris nisi a mundis cordibus, investigavi legendo, meditando, quæsivi quomodo haberi possit vera cordis munditia, ut ea mediante, vel ex modica parte possem te cognoscere.

Quærebam vultum tuum Domine, vultum tuum requirebam.

Dienstag, 30. August 2011

Scala paradisi, 19


Der Herr hat vielen das Amt verliehen zu taufen,
aber sich selber die Vollmacht und Autorität vorbehalten,
durch die Taufe die Sünden zu vergeben.

Darum sagt Johannes von sich selbst aus und
maßvoll von Ihm: "Er ist es, der ... tauft" (Joh 1,33).

Ebenso kann man sagen: Er allein gibt die köstliche Weisheit
und macht die Seele fähig, sie zu genießen.

Das Wort Gottes wird vielen angeboten,
aber nur wenige empfangen die Weisheit.
Der Herr schenkt sie, wem er will und wie er will.


Officium enim baptizandi Dominus concessit multis: potestatem vero et auctoritatem in baptismo remittendi peccata, sibi soli retinuit.

Unde Johannes autonomastice et discretive de eo dixit: Hic est qui baptizat (Jn 1).

Sic de eo possumus dicere: Hic est qui sapientiæ saporem dat, et sapidam animam23 facit.

Sermo siquidem datur multis, sed sapientia paucis: (Cato in distycc.) quam distribuit Dominus cui vult, et quomodo vult.

Montag, 29. August 2011

Scala paradisi, 18

„Sie verfielen in ihrem Denken
der Nichtigkeit“ (Röm 1, 21) „und waren am Ende
mit all ihrer Weisheit“ (Ps 107, 27), denn sie
schöpften aus den menschlichen Wissenschaften
und nicht aus dem Geist der Weisheit.
Er allein kann die wahre Weisheit schenken,
jenes Verkosten des Wissens, das
die Seele erfreut und stärkt und sie
mit unaussprechlicher Wonne erfüllt.

Von dieser Weisheit steht geschrieben:
 "In eine Seele, die auf Böses sinnt,
kehrt die Weisheit nicht ein" (Weish 1,4).
Sie geht allein von Gott aus.


Evanuerunt in cogitationibus suis[Rm 1,21], et omnis eorum sapientia devorata est; quam eis contulerat humanæ studium disciplinæ, non spiritus sapientiæ, qui solus dat veram sapientiam, sapidam scilicet scientiam: quæ animam cui inhæsit inæstimabili sapore jucundat et reficit.

Et de illa dictum est: Sapientia non intrabit in malevolam animam (Sap 1).
Hæc autem a solo Deo est.

Sonntag, 28. August 2011

Scala paradisi, 17

Das Lesen und Meditieren nämlich ist sowohl
den Guten als auch den Bösen gemeinsam.

Und selbst die heidnischen Philosophen haben
unter der Führung der Vernunft erkannt,
worin das höchste Gut besteht.
Aber weil sie, obwohl sie Gott nicht
als Gott erkannten, diesen nicht
als Gott verehren wollten und in ihrem Stolz
sagten: "Durch unsere Zunge sind wir mächtig,
unsere Lippen sind unsere Stärke.
Wer ist uns überlegen?" (Ps 12,5),
verdienten sie nicht zu empfangen,
was sie sehen konnten.


Legere enim et meditari tam bonis, quam malis commune est.

Et ipsi philosophi gentium in quo summa veri boni consisteret, ductu rationis invenerunt: sed quia cum Deum cognovissent, non sicut Deum
glorificaverunt, et suis viribus præsumentes dicebant: Linguam nostram magnificabimus, labia nostra a nobis sunt: Quis noster Dominus est? non meruerunt percipere quod potuerunt videre.

Samstag, 27. August 2011

Scala paradisi, 16

Aber was soll sie tun?
Sie brennt vor Sehnsucht nach ihr,
findet aber bei sich selbst nichts,
um sie zu erlangen. Je mehr sie
danach sucht, desto stärker dürstet sie.
Dann fügt sie mit der Meditation
auch den Schmerz hinzu.
Denn sie dürstet nach der Beseligung,
die in der Herzensreinheit liegt.
Diese wird ihr in der Meditation gezeigt,
hat aber nicht einmal einen Vorgeschmack davon.

Weder die Lesung noch die Meditation können
diese Wonne verkosten lassen,
wenn sie nicht von obengegeben ist.


Sed quid faciet? Habendi desiderio æstuat, sed non invenit apud se quomodo habere possit: et quanto plus inquirit, plus sitit. Dum appoint meditationem, apponit et dolorem: quia sitit dulcedinem, quam in cordis munditia meditatio esse monstrat, sed non prægustat.

Non enim est legentis atque meditantis hanc sentire dulcedinem, nisi data fuerit desuper.

Freitag, 26. August 2011

Scala paradisi, 15


Von diesen Fackeln entzündet
und von diesem Verlangen erfüllt,
beginnt nun die Seele, nachdem
das Alabastergefäß zerbrochen ist,
dessen Wohlgeruch zu spüren.
Zwar noch nicht mit dem Gaumen,
aber gleichsam den Duft mit der Nase.

Und darin ist enthalten, welche Wonne
es ist, diese Reinheit zu besitzen,
da schon die Meditation dieser,
sie als so beglückend erfahren hat.


His anima facibus inflamata, his incitata desideriis, fracto alabastro, suavitatem unguenti præsentire incipit, necdum gustu; sed quasi narium odoratu.

Et hoc colligit quam suave esset hujus munditiæ sentire experientiam, cujus meditationem novit adeo esse jucundam.

Donnerstag, 25. August 2011

Scala paradisi, 14

Und man bedenkt, dass in dieser Schau
jene Sättigung sein wird, von der der Prophet sagt:
"Ich werde gesättigt werden,
wenn deine Herrlichkeit erscheint." (Ps 17,15).

Siehst Du, wie viel Saft die kleine Traube hervorbringt?
Welch ein Feuer aus diesem Funken auflodert,
wie sich das kleine Metallstück
"Selig, die ein reines Herz haben,
denn sie werden Gott schauen." [Mt 5,8]
auf dem Amboss der Meditation ausgedehnt hat?

Und um wie viel mehr würde es sich noch ausdehnen,
wenn jemandem daran ginge, der darin erfahren ist?

Denn ich sehe, dass der Brunnen tief ist,
aber da ich bisher noch ein Unerfahrener bin,
kann ich nur kaum dieses Wenige daraus schöpfen.


Cogitat quod in illa visione erit satietas illa, de qua dicit Propheta: Satiabor cum apparuerit gloria tua (Ps 16).

Videsne quantum liquoris emanavit ex minima uva; quantus ignis ex hac scintilla ortus est, quantum hæc modica massa, Beati mundo corde, quoniam ipsi Deum videbunt, (Mt 5) in incude meditationis extensa est?

Sed quantum adhuc posset extendi, si accederet aliquis talia expertus!

Sentio enim quod puteus altus est: sed ego adhuc rudis tiro, in quo pauca hæc haurirem vix inveni.

Mittwoch, 24. August 2011

Scala paradisi, 13


So sehr nahm dieser heilige Mann sich in Zucht,
dass er die Augen schloss, um die Eitelkeit
nicht zu sehen und um nicht vielleicht
von einem Anblick überrascht zu werden, der ihn
gegen seinen Willen
zu bösen Begierden reizen könnte.

Nachdem man dieses auf diese Weise über
die Herzensreinheit erwogen hat, beginnt man damit,
darüber nachzudenken, welcher Lohn ihr verheißen ist:
wie herrlich und beseligend es ist,
das ersehnte Antlitz Gottes zu schauen, das
schöner ist als alle Gesichter der Menschen.
Der Herr ist nicht mehr verunstaltet und erbärmlich
und hat nicht mehr das Äußere, in welches ihn
seine Mutter, die Synagoge, gekleidet hatte.
Sondern mit dem Gewand der Unsterblichkeit bekleidet und
mit dem Diadem gekrönt, mit dem sein Vater ihn
am Tag seiner glorreichen Auferstehung gekrönt hat,
an jenem "Tag, den der Herr gemacht hat" (Ps 118,24).


Ecce quantum arctabat se vir sanctus, qui claudebat oculos suos ne videret vanitatem, ne forte incautus respiceret quod postea invitus desideraret.

Postquam hæc et hujusmodi de cordis munditia pertractavit, incipit cogitare de ejus præmio, quam gloriosum et delectabile est videre faciem desideratam Domini, speciosi forma præ filiis hominum15; non esse jam abjectum et vilem, non habentem speciem qua vestivit eum mater sua Synagoga: sed stola immortalitatis indutum, et coronatum diademate, quo coronavit eum Pater suus in die resurrectionis et gloriæ, die quam fecit Dominus.
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