Dienstag, 3. Februar 2015

Der Verstand ist die Kraft, die den Menschen lehrt

IL023-VW23

Niemand wird sich, so denke ich, hinsichtlich der Tragweite der hier zugunsten der Vernunft ausgesprochenen Forderungen irren. Man wird leicht feststellen, dass sie nicht zum Schaden des Glaubens und der Gnade, sondern einzig zum Zurückweisen der Gefühlsduselei dient, oder, anders gesagt, des rein animalischen Vegetierens. Diese zwei Haltungen sind ganz nah verwandt. Sie hat im Leben einen so wichtigen Platz eingenommen, der ihr weder durch die Natur noch durch die Gnade zusteht, und sie schwächt dadurch Natur und Gnade.

Der Verstand ist die Kraft, die den Menschen lehrt; er muss ihn lenken. Der Verstand bereitet die Wege für den Glauben, und in dieser Kraft hat diese große Tugend ihren Sitz. (Vgl. Thomas v. Aquin, S. Th. 2-2, q 9, a 4,2).

Wenn der Verstand aus seiner lenkenden Tätigkeit vertrieben wird, leidet darunter nicht bloß die Natur, sondern auch der Glaube, und das geistliche Leben ist verdorben. Gerade das ereignet sich in unseren Tagen. Das Gefühl, das den zweiten Rang in den Kräften des Menschen einnimmt, setzt sich an den ersten Platz, es strebt danach, selbst die Führung in der Frömmigkeit zu übernehmen.

Ich habe es bereits gesagt, das Leben wird so eine Angelegenheit des Gefühls, der Glaube zum Gefühlseindruck, die Frömmigkeit zu einer Gefühlssache. Alles wird animalisch und materialistisch; alles, selbst das Höchste, sinkt hinab und wird schwach; alles wird äußerlich und schal; alles wankt und fällt; alles vegetiert nur und verkümmert. Warum geschieht das? Weil der Baum sich nicht mehr auf seiner Wurzel, das Gebäude nicht mehr auf seinem Fundament, der Berg nicht mehr auf seiner Grundfeste steht, weil der Leib keine Seele mehr hat.

(Dom François de Sales Polien, IL, 20150203)

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