Dienstag, 6. November 2012

Über die Kartause Marianau 1995 (4 von 5)

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Gestorben wird in der Gemeinschaft, nicht privat. Ein Sterbender wird entweder durch Wachen begleitet, oder das Fehlen eines Mitbruders wird in den häufigen, auch In der Nacht rege mäßigen, Gebetsstunden sofort bemerkt. Sobald ein hinzugezogener Arzt den Tod bestätigt, beginnt eine emsige Vorbereitung für die Aufbahrung in der Kirche.

Der Verstorbene wird gewaschen und mit seiner weißgelblichen Wollkutte angezogen. Die Kapuze wird weit über den Kopf nach vorne auf die Brust gezogen und zugenäht. Die über die Brust zusammengelegten Arme - nicht gefaltet - sind in den weiten Ärmeln der Kutte versteckt. Die Füße, in grobgestrickten Socken, stecken in sehr dünnen und einfachen Stoffschuhen, ohne Sohlen. Mit einem schmalen Band sind die Füße zusammengebunden, um ein Verrutschen beim Absenken in die Grabgrube zu verhindern.

So wird der tote Mönch nach alter Kartäusertradition auf eine Brettunterlage gelegt. Diese ist gerade so breit und so lang wie der aufliegende Körper. Der Kopf liegt auf ein weißes Kissen gebettet, das durch einen hölzernen Keil angehoben wird. Am Fußende befindet sich ein aufrechtstehendes, beinahe quadratisches Brettchen, das direkt an den Fußsohlen anliegt. Über den Toten wird nun ein schwarzes, mit einem weißen Kreuz besticktes Tuch gelegt.

Anschließend wird der Leichnam im Mittelschiff zwischen dem Chorgestühl aufgebahrt. Ohne Blumenschmuck und anderes Beiwerk entsteht eine eigentümliche Atmosphäre von seltsamer Dichte. Das bekannte "Gedenke Mensch, daß du sterblich bist!" muß nicht erst durch mehrstimmige Chöre interpretiert werden, denn die sichtbare Anwesenheit des Leichnams, dessen Konturen permanent durch das schwarze Tuch present sind, sprechen messerscharf und ohne Rückvorsieht von dem heiklen Thema des Abschieds. Schon am nächsten Tag wird bestattet.

Der Kartäuserorden wurde durch die Jahrhunderte hindurch nie reformiert und an religiöse Modeerscheinungen angepaßt, weshalb er für uns ein kirchengeschichtliches Relikt aus längst vergangenen Zeiten ist. Somit wirkt die Totenmesse, in Latein gehalten, in ihrer ursprünglichen Weise auf den modernen Kirchgänger geheimnisvoll und monoton zugleich.

Im Anschluß an die Messe wird die Bahre unter dem Geläut einer Glocke aus der Kirche zum Klosterfriedhof, der inmitten des großen Kreuzganges liegt, auf den Schultern von vier Mönchen hinausgetragen. Immer bleibt, durch die sichtbaren Konturen des Toten ganz klar, daß hier "leibhaftig" ein Mensch zu Grabe getragen wird.  In einiger Entfernung vor der Grabgrube wird die Bahre abgestellt. Alles, was jetzt folgt, geschieht zugig aber exakt. Die Vorgänge wirken wie ein in Jahren häufig wiederholtes Protokoll, in dem die Handlungen gezählt und auf das wesentliche reduziert sind. Lange Trauer- und Abschiedsbekundungen gibt es nicht. Zugeständnisse an das Feierliche und Schöne werden nicht gemacht. Mit der Totenmesse ist das wichtigste getan; jetzt gilt es lediglich eine vergängliche Hülle aus Staub fortzuschaffen.

(Matthias Raidt:
Als ob es dich nie gegeben hätte
Bei einer Beerdigung in Marienau,
der letzten Kartause Deutschlands
Aachener Kirchenzeitung Nr. 48, 1995)

Foto aus dem Zeitungsbericht

1 Kommentar:

  1. "Gestorben wird in der Gemeinschaft, nicht privat."

    Ist das nicht die größte Sehnsucht vieler im Sterben liegender Menschen? 'Zu Hause' zu sein in diesem Moment. Und jedenfalls nicht völlig vergessen (als hätte es sie nie gegeben.

    Und auch ein Beweis: Der Mönch war in seinem Leben vielleicht sehr sehr viel allein. Aber ob er jemals einsam war?
    Interessant das Wort 'privat'.

    Huppicke

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