Sonntag, 21. Oktober 2012

Der Prior (Sélignac, 7 von 12)

Vor der Dämmerung kommt der Prior zu Besuch. Ich sehe ihn ohne Mantel über den Hof gehen, sein entschlossener Schritt nähert sich über die Steingänge. Klack, klack. Ein kurzes Klopfen, seine feste Hand. Der Prior ist Spanier, sein Französisch erfinderisch. Er will mir nur sagen, dass er mir alle Freiheit lassen möchte. Dann macht er einige Vorschläge für das Nachtoffizium, weist den Weg über den Hof zur Kirche, vorbei an den Brüdern, dem braunen Rudel der Armen, in den Mönchschor. Dies mittels des geheimnisvollen Sonderschlüssels, den er mir anvertraut und der in den Sperrbezirken des Verschwiegenen fast alle Türen öffnet. Viele Fältchen um seine Augen, wenn er lächelt, auch rote Ringe, Asketenrot, als weine er vieL


Der kleine Kartäuserofen steht auf dünnen Beinen fast zu ebener Erde. Ein bisschen Papier, zwei Handvoll Sägemehl und darüber die Holzscheite. Öffnet man den Kaminzug, schlagen die Flammen vehement gegen die Gusswände. Wie ein Trommeln. Durch die Schlitze und Ritzen flackert es lichterloh über den Holzboden. „Bruder Feuer", so empfand es Franziskus. Im Reich der Kälte ist das eine solidarische Nähe. Die blubbernde Glut macht die Zellenwüste plötzlich häuslicher.
[ … ].

(Ausschnitte: Sterne über Sélignac, Freddy Derwahl, Eremiten Die Abenteuer der Einsamkeit, Pattloch 2000)

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