Zum
ersten Mal sehe ich die Gesichter unter den spitzen, weißen Kapuzen. Bisweilen
die Spur eines Lächelns. Drahtig, athletisch, hohle blasse Wangen, dann wieder
kindliche Sanftmut. Mit zwei, drei geübten Handgriffen rücken sie die großen Antiphonare
ins rechte, spärliche Licht. Die alten Bücher haben Eisenverschlüsse, wie zum
Bewahren von Schätzen. Das Wort, das Wort. Halbdunkel, Halbschatten, da ist
eine große Vertrautheit mit der Nacht.
Furcht
und Ängste sind längst verschwunden. Statt dessen erhöhte Wachsamkeit,
gelassene Konzentration auf die Übersetzung, die mir der Prior zuschiebt, bevor
er mit einem harten Klopfen das Nachtoffizium eröffnet. Nur die Kälte ist
geblieben, doch sie gehört existentiell zum Ritual dieser extremen Stunden. Sie
nistet tief im schmucklosen Gemäuer dieser Kirche, sie ist aufgeladen mit
reinigender Kraft.
(Ausschnitte:
Sterne über Sélignac, Freddy Derwahl, Eremiten Die Abenteuer der Einsamkeit,
Pattloch 2000)
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